Das Drachenboot
ermunterten ihn nicht, über Unwichtigeres als den Vogelflug nachzudenken. »Wir sind heute so langsam«, antwortete Hrolf und gähnte ebenfalls.
Folke nickte nur. Wahrscheinlich Algen und Muscheln an den Planken. Oder eine Leine schleppte nach. Hjalti rief Aslak an. Folke verstand nicht, was er sagte, aber als Aslak aufstand und zum Vorschiff winkte, wußte er, daß die Backbordvorschiffsmänner zum Wasserösen aufgerufen wurden. Ulf, Sven und der Mann neben Frodi machten sich an die Arbeit: zwischen dem ersten und dem zweiten Schiffslängenviertel, genauso wie zwischen dem dritten und dem vierten Viertel befanden sich die Ösräume, die quer über das Schiff führten. Weder Ballaststeine noch Wasserfässer noch Packsäcke durften hier abgelegt werden, sie waren bis zum Kiel frei und einsehbar, und hier wurde das einsickernde Wasser ausgeschöpft. »Viel heute«, bemerkte Hrolf einsilbig. Folke nickte träge. Ein Holzschiff zog nun mal Wasser. Wieviel, hing von der Güte des Baus und der Kalfaterung ab, von der Art, wie das Schiff bewegt wurde und noch anderen Dingen. Es gab Schiffe, die naß segelten, ohne schlecht zu sein, und andere, die trocken fuhren, ohne darum besonders gut zu sein. Nach ein paar Tagen würde er wissen, zu welcher Art der »Graue Wolf« gehörte.
Endlich waren sie der Küste von Erri so nah gekommen, daß sie ihre Fahrtrichtung ändern und nach Nordwesten an der Insel entlangsegeln konnten. Steilküste wechselte mit niedrigen Küstenbereichen ab, aber ein richtig flacher Strand, so wie an der Mündung der Schlei, war nirgends zu sehen. »Hinter einer Huk liegt Visby, sagte man mir. Ist es das?« Hrolf deutete mit seinem Kinn nach vorne. Dort bog die Küste hinter einer Ecke scharf ab.
Folke schüttelte den Kopf. »Es folgt noch eine Huk knapp dahinter. Erst wenn die dritte scharfe Kante kommt, wird Erri wirklich schmal. Und genau dahinter wieder befindet sich der Einschnitt von Visbyhafen.«
Hrolf nickte. »Ist es weit im Land?«
Folke lachte belustigt. »Wenn du oben auf der Burg stehst, kannst du nach beiden Seiten Erris ins Wasser spucken.«
»Wirklich?«
»Na - nicht ganz«, schränkte Folke ein, dem das Prahlen nicht lag und der nicht wollte, daß Hrolf ihn wörtlich nahm.
»Aber weit ist es wirklich nicht. Ich schätze, vierzig bis fünfzig Schiffslängen vom Küstenstrich bis an den Landesteg.«
Damit gab Hrolf sich zufrieden. So lange konnte es nun nicht mehr dauern. Während er sich sein Wams unter den
Kopf schob, bemerkte Folke, daß Hjalti sich von Alf beim Steuern ablösen ließ.
Visby auf Erri
3
Vergeblicher Handel
Wider Erwarten dauerte es doch noch lange. Folke wurde vom Schlagen des Segels und vom tiefen Ein- und Austauchen des Buges wach. Er rappelte sich hoch. An Steuerbord konnte er vereinzelte Hütten und hohe Eichen ausmachen. Aber der »Graue Wolf« dümpelte in der Altdünung vor sich hin. Nicht nur er, auch Njörd war eingeschlafen.
Im selben Moment dröhnte schon Hjaltis Stimme: »An die Ruder!«
Die schlafenden Männer waren sofort auf den Beinen. Frodi sammelte schnell die Spielsteine vom Brett und warf sie in den Beutel. Als leidenschaftlicher Spieler konnte er sich tagelang damit beschäftigen. Aslak dagegen hatte längst einem anderen seinen Platz eingeräumt. Hjalti turnte gemächlich nach achtern und tauschte wieder mit Alf seinen Platz. Alf gab das Steuer lustlos ab und blieb neben dem Steuermann auf der Back stehen, bis Hjalti ihn nach vorn schickte. Eilig wurde das Segel aufgegeit. Die Männer im Bug und im Heck schoben ihre Ruder schon durch die Pforten und zogen an. Die Rah war noch nicht abgesenkt, da hatten sie schon merklich Fahrt aufgenommen.
Folke war mit Feuer bei der Arbeit. Auf einem Kriegsschiff hatte er noch nicht gerudert, und die wenigen Züge auf der Schlei zählten nicht. Er genoß es und überhörte bewußt das Murren der anderen. Der Baumeister hatte es verstanden, seinem Schiff die Seele eines Wolfes einzuhauchen: schnell wie der Graue beim Jagen, sparsam in den Bewegungen und ebenso beharrlich im Verfolgen einer Spur. Die Ruderkraft von zweiunddreißig Männern machte das Schiff immer noch schnell, wenn auch nicht ganz so schnell wie unter Segeln.
Sven neben ihm genoß das Rudern nicht. Folke, der unauffällig zur Seite schielte, merkte, daß sein Schlag ständig hinterherhinkte, und es würde wahrscheinlich nicht lange dauern, bis sich einer der Männer über ihn beschwerte. »Gib dir doch mal
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