Das Drachenboot
viel mit den Vorfällen an Bord zu tun. Während Hrolf immer mehr aufmerkte und ihn schließlich betroffen ansah, redete sich Aslak Gedanken von der Seele, die er noch nie jemandem mitgeteilt hatte. »Ich weiß nicht, was ich noch glauben soll. Es ist alles so unsicher geworden, Hrolf. Früher war das Leben klar und einfach. Die Christen aber haben unser Leben durcheinandergebracht, auch wenn wir gar nicht an ihre Götter glauben. Aber sieh dir jetzt einen Hammer an, der am Hals eines guten Freundes hängt. Bist du sicher, ob es sich wirklich um einen Hammer handelt? Oder ist es vielleicht gar ein Kreuz? Oder etwa ein Kreuz im Hammer? Alles beides oder nichts davon? Und wenn er dir beteuert, es sei ein Hammer, so sagt er einem anderen vielleicht: ein Kreuz!«
Da Hrolf nickte, fuhr Aslak fort: »Und wenn du an der südlichen Küste in deinen Braten beißt, kann es sein, daß ein Schwarzberockter vorbeikommt und dich wild anstarrt. Und wenn du ihn fragst, was er hat, bevor du ihn totschlägst, beschuldigt er dich vielleicht frech, du hättest ein Pferd zwischen den Zähnen. Was geht's dich an, fragst du. Und er behauptet, es sei seins; obwohl du genau weißt, daß du ein Schwein ißt und daß du es gestern erst gespeert hast. Aber um jeden Preis versuchen sie sich ins Gespräch zu bringen, wie schwatzhafte Frauen. Mancher Mann, der so einem nur den Gruß entbot, ging im weißen Hemd davon. Ich bin sicher, es sind die Christen, die alles verändern, Hrolf. Und darum sage ich jetzt auch nicht, daß Folke der Täter nicht sein kann! Man kann keinem mehr trauen. In Haithabu wimmelt es von Christen.«
»Ich glaube, ich fühle das wie du«, sagte Hrolf endlich zu Aslaks Überraschung, »ich kann es nur nicht so schön sagen. An dir ist ein Skalde verlorengegangen.«
Aslak lachte kurz und schmerzlich. »Du weißt wohl, wo ich herkomme. Da werden keine Skalden geboren.«
Hrolf schwieg. Er hatte Aslak nie nach seiner Geschichte gefragt und auch nie daran gedacht, daß er vielleicht nicht freiwillig zu den Norwegern gekommen war. Und doch konnte es so sein.
Aber Hrolf hatte keine Lust mehr auf Unterhaltung, er war müde und Aslak wohl auch. Er tastete nach seinen Waffen. Schild und Speer konnte er finden, seine Axt jedoch nicht. »Deine >Droplaug< liegt zwischen uns«, machte ihn Aslak leise aufmerksam, und Hrolf merkte, daß er lächelte. Das stimmte ihn zufrieden. »Du meinst, da gehört sie hin? Da könntest du recht haben. Anders wäre es, wenn meine Bera hier läge.« Mit den glücklichen Gedanken an seine Frau vergaß Hrolf die Sorgen um das Boot und schlief sofort ein. Nur Aslak wälzte sich auf den harten Steinen, und seine düsteren Gedanken und das leise Weinen der verzweifelten Frau hinderten ihn lange am Schlafen.
9
Angst geht um
Im Schutz der Nacht gelangten Aud und Folke zu einem Haus mitten im Dorf, und das Mädchen schob die Tür auf, obwohl dahinter ein Hund knurrte. Aber er mußte sie erkannt haben, denn er ließ sie schweifwedelnd vorbei und schnüffelte auch nur wenig mißtrauisch an Folkes Gamaschen. »Bist du's, Svan?« fragte eine Männerstimme im Wohnraum, in dem das Herdfeuer flackerte und roten Schein auf die nächstliegende Wand warf. In diesem Moment tauchte im Durchgang zu einem zweiten Raum die Frau des Hauses auf. Doch bevor Aud sich bemerkbar machen konnte, schrie die Frau gellend und streckte ihrer späten Besucherin die zehn gespreizten Finger entgegen.
Der Mann, der nach Svan gerufen hatte, stand im selben Augenblick vor Folke und hatte ihm ein Messer an die Kehle gesetzt, bevor er auch nur einen Schritt zurück tun konnte. »Bringst du uns jetzt schon die Feinde ins Haus, Aud?« fragte der Hausherr mit verzerrter Stimme. Daran konnte Wut schuld sein oder auch die Oberlippe, die bis unter die Nase gespalten war. Mit dem einen Auge blickte er Folke an, aber das andere fand eine andere Richtung und stach dachwärts ein Loch in die Luft. Er sah aus wie ein böser Zwerg, und davor erschrak Folke vorübergehend weit mehr als vor dem Messer.
»Nein, nein«, rief Aud und sah ungläubig von der Frau zum Mann. »Er ist kein Feind, er will euch helfen.«
»Aud«, knurrte der Mann, dessen einfache Kleidung ihn als Bauern auswies, »du hast uns schon einmal einen üblen Dienst erwiesen. Sei froh, wenn du so davonkommst. Halte dich in Zukunft aus unseren Angelegenheiten heraus! Ich will den Mann hier nicht haben.«
»Wirf sie doch beide aus dem Haus, Ragnar«, keifte jetzt eine winzige, in
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