Das Drachentor ("Drachenkronen"-Trilogie) (German Edition)
hierher zurückkehren, also verteile deine Habseligkeiten, bevor du gehst. Bis deine Aufgabe in Draka erfüllt ist, wirst du Astorins Befehlen Folge leisten und damit Morad dienen. Geh jetzt und bereite dich auf deine Reise vor. Astorin wird in den späten Abendstunden eintreffen.«
Mit einer Handbewegung entließ sie Tonya, die sich noch einmal verneigte und die Schuhspitze der Äbtissin küsste.
*
Tonya saß am Fenster und starrte in den kalten Nebel hinaus. Das Wasser gluckste und schmatzte, und ab und zu huschte ein Schatten zwischen den kahlen, toten Bäumen hindurch, denen der Sumpf das Leben ausgepresst hatte.
Die Novizin dachte über die Worte der Mutter Oberin nach. Sie war zwar von einem Ordensmitglied aufgezogen worden, nachdem man sie ihren Eltern genommen hatte, doch diente sie erst seit drei Jahren als Novizin und hatte die letzte Prüfung und die große Weihe noch vor sich. Warum bekam sie diese Aufgabe zugeteilt, die dem Orden Ruhm, bei Misslingen aber auch große Schande einbringen konnte? Musste sich die Äbtissin nach ihren Visionen richten? Anderseits: Wenn sie gesehen hatte, dass Tonya Erfolg haben würde, warum sollte sie dann das Leben eines wichtigeren Mitglieds riskieren?
Tonya schluckte. Sie würde ihre Aufgabe erfüllen, der Orden und Mutter Morad würden stolz auf sie sein, aber sie würde diesen Augenblick des Glücks nicht mehr erleben.
Sie hatte sich immer gewünscht, etwas Großes zu tun, sich bewähren zu können und dem Orden von Nutzen zu sein. War es nicht ihr Lebenssinn, sich für den Orden zu opfern? Warum nur schmeckten die Worte dann so bitter auf ihrer Zunge?
Ich habe deinen Tod gesehen. Du wirst nicht lebend hierher zurückkehren. Tonya zwinkerte, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Sie versuchte, sich geehrt und stolz zu fühlen, aber es gelang ihr nicht. Sie fühlte sich nur einsam, kalt und voller Furcht.
Sie nahm draußen vor dem Fenster eine Bewegung wahr. Ein Hase! Wo der wohl hergekommen sein mochte? Er strampelte und rutschte über den zähen Morast. Tonya konnte seine Todesangst geradezu spüren. Endlich erreichte er den festen Untergrund der Insel und flüchtete sich in den Schutz eines Busches. Zitternd und erschöpft blieb er sitzen. Das nasse Fell klebte an seinem mageren Körper. Doch der Sumpf hatte seinen Untergang bereits beschlossen. Blasen stiegen im schlammigen Wasser auf und zerplatzten. Zwei mit Klauen besetzte Tentakeln durchbrachen die Oberfläche und wanden sich um die Mitte des kleinen Nagers. Das Tier stieß einen Schrei aus und zappelte kläglich, bis der Räuber ihn unter Wasser zog. Für ein paar Augenblicke schäumte der Sumpf auf, dann lag er wieder ruhig da. Träge schwappte die Brühe gegen das Ufer, der Nebel zog in dichten Schwaden dahin. Tonya hatte plötzlich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.
Es war nur ein Hase, sagte sie sich, doch sie wusste, dass ihre Panik nichts mit seinem Tod zu tun hatte.
*
Astorin beendete die letzten Vorbereitungen für das Astraltor, das ihn bis zum Rand der Sümpfe bringen würde. Näher an das Kloster heran konnte er auf diese Weise nicht kommen, dafür hatte die Äbtissin schon vor langer Zeit gesorgt, und er verfluchte sie dafür. Für einen normalen Wanderer würde es drei Tagesreisen bedeuten, wenn er den Weg durch die tückischen Sümpfe überhaupt fand! Astorin beschloss jedoch, auf seinem untoten Ross zu reiten, das ihn in einem Bruchteil der Zeit sicher ans Ziel bringen würde – das hoffte er zumindest. Er war mit ihm noch nie durch einen Sumpf geritten. Den Tücken der Salzseen von Drysert war das Ross jedenfalls gewachsen gewesen.
Astorin zögerte, das Astraltor zu öffnen. Er überprüfte noch einmal seine Ausrüstung und ging die Komponenten durch, die er für die Schutzzauber gegen den Vampir brauchen würde. Er hatte nicht vor, ihm sein Blut zu geben oder – noch schlimmer – sich zu einem seiner untoten Sklaven machen zu lassen! Draka war ein Gegner, den man ernst nehmen musste. Und auch die Äbtissin war nicht zu unterschätzen! Die Macht der Dämonen, die sie zu beschwören imstande war, stellte selbst Astorins magische Kräfte in den Schatten.
Wie würde sie ihn empfangen, wenn er so unerwartet auftauchte und sie um Hilfe bat? Wie viel von seinen Plänen sollte er ihr offenbaren? Oder wusste sie bereits davon? Ihre hellseherischen Träume beunruhigten ihn. Man konnte sich bei ihr nie sicher sein, auf welche Seite sie sich schlug. Sie war nur sich selbst
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