Das Drachentor
in Barims Drachenstall zurückgekehrt. Ihm schmerzte der Rücken vom Heuballenschleppen und vom Ziehen der Karren. Er war hungrig. Die Hitze machte ihn müde und gereizt.
Seine Mutter hatte Suppe gekocht. Sie hatten noch einen frischen, weichen Laib Brot und Revyn wollte ihn essen.
»Nein!« Seine Mutter riss es ihm aus den Händen und umklammerte es ängstlich. »Wenn er heimkommt, ist er hungrig.«
Revyn schwieg. Wortlos löffelten sie ihre Suppe. Das Brot lag Revyn gegenüber, auf dem leeren Teller, den seine Mutter jeden Abend umsonst deckte. Plötzlich überfiel Revyn Zorn. Er konnte sich nicht mehr zurückhalten. All die Jahre hatte er geschwiegen, aber jetzt konnte er nicht mehr! Er sprang auf, packte das Brot und schleuderte den Teller gegen die Wand. Seine Mutter starrte ihn an, als hätte er sich vor ihren Augen in ein Monster verwandelt.
»Revyn!«, jammerte sie. »Was tust du?«
»Das hier!« Damit riss er das Brot entzwei, warf es auf den Boden und trampelte darauf herum. Seine Mutter stieß heisere, verzweifelte Laute aus.
»Du bist doch verrückt, Mama!«, schrie er, und Tränen strömten ihm über das Gesicht. »Er ist ein Mörder! Er hat Miran umgebracht! Hast du das vergessen! Antworte! Wie kannst du ihn noch lieben?« Seine Mutter stolperte nach hinten. Ihre Hand klammerte sich um ihre Kette.
»Antworte! Wie kannst du ihn lieben?«
Seine Mutter zitterte. »Er wird dich schlagen, wenn er wiederkommt. Und du hast es verdient.« Revyn starrte sie an, wie sie mühsam blinzelte und die Lippen zusammenkniff.
»Er kommt nicht wieder. Er kommt nie wieder! Er ist tot! Er ist elend krepiert! Er ist in der Hölle, Mama, hörst du? Er kommt nie wieder!« Seine Mutter schnappte nach Luft. Ihre Hand presste sich auf ihr Herz. Immer wieder schüttelte sie den Kopf, schüttelte und schüttelte den Kopf, als wollte sie seine Worte loswerden.
»Er ist tot! Er kommt nie wieder! Er ist tot, er ist tot.« Und seine Mutter fiel um.
Revyn erstarrte. Ein heiseres Krächzen drang aus ihrem Mund. Ihre Lider zuckten, als ihr Herz versagte. Dann war sie still. Die ganze Hütte füllte sich mit dieser Stille.
Yelanah hatte Tränen in den Augen und umarmte ihn fest, als das letzte Wort gesagt war. »Du bist nicht wie dein Vater«, flüsterte sie ihm zu. »Du hast kein schlechtes Herz, Revyn … das weiß ich.«
Er lag schweigend in ihren Armen und schloss die Augen. Könnte doch diese Nacht, dieser Augenblick nie enden … Könnte er ihr doch für immer so nah sein und nie wieder einsam!
»Ich weiß, wie es ist, niemanden zu haben oder zu denken, dass niemand da ist. Mit acht hab ich meine Eltern und das Dorf der Elfen verlassen. Der Stamm der Nimorga ist meine Familie geworden. Ich habe mit ihnen gekämpft und getötet. Ich habe gelernt, wie es ist, Brüder und Schwestern an Wahnsinn und Nebel, an den Tod und an die Menschen zu verlieren. Ich habe gelernt zu hassen. Wenn man nichts hat, woran man sich halten kann, keine Hilfe, gar nichts … dann ist der Hass eine warme Zuflucht.«
Sie hielt einen bangen Augenblick die Luft an. »Schwöre, dass du die Dar’ hana nicht verraten wirst. Schwöre, dass du an meiner Seite kämpfen wirst, so wie ein Mahyûr es tun muss. Octaris’ Prophezeiung soll niemals wahr werden!«
Er wischte ihr die Tränen von den Wangen. »Ich werde für die Dar’hana kämpfen. Ich schwöre es dir, ich schwöre dir alles! Ich werde mein Leben geben, wenn es sein muss. Ich werde dich nie alleine lassen.«
Yelanah atmete zitternd ein. »Dann wird unser Krieg gegen die Menschen beginnen.«
»Gegen das Schicksal.«
»Gegen alles, wenn es sein muss!«
Die Orkane hatten Bäume samt ihren Wurzeln aus der Erde gerissen. Schwarze Erdklumpen ragten aus dem verwüsteten Dickicht. Mageren Tannen und Fichten hatten die Winde alle Äste abgerissen und sie in völliger Blöße stehen gelassen.
Yelanah strich sich die feuchten Haarsträhnen aus dem Gesicht und zog die Knie enger an die Brust. Nachdenklich saß sie vor dem Felsspalt und beobachtete, wie Revyn schlief. Es dämmerte, doch die Sonne blieb hinter bleiernen Wolken verborgen. Seine Züge waren in Dämmerlicht getaucht.
Yelanah stieß ein langes Seufzen aus. Sie wusste, dass Revyn Wort halten würde. Er würde sie und die Dar’hana nicht im Stich lassen. Niemals. Wie konnte der große Prophet Octaris sich so geirrt haben …? Sie schüttelte diese Gedanken ab. Octaris hatte noch andere Dinge gesagt, an die Yelanah nicht glauben
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