Das Drachentor
»Einer der mächtigen Ahirah wird dich lieben, Yelanah. Er wird dir in dein Reich folgen. Und er wird Schuld am Untergang der Dar’hana tragen.« Er sah sie an. »Nicht alle Kinder von Ahiris sind Helden. In den mächtigsten von ihnen - und ich vermag nicht zu sagen, welche es sind - lauert ein dunkles Herz.«
In die Stille hinein begann plötzlich Ardhes zu lachen. Es war ein heiseres Lachen, das sich kaum von einem Schluchzen unterschied. Voller Grauen starrte Revyn sie an.
»Mörder«, sagte Ardhes, während sie lachte und Tränen über ihr Gesicht liefen. »Er ist ein Mörder! Er hat Kinder - er hat seine Mutter getötet … Hörst du, Yelanah? Er hat ein böses Herz, er liebt dich mit einem bösen Herzen! Mit demselben Herzen, das den Untergang der Drachen ersehnt.« Ganz langsam kehrte sie ihnen den Rücken zu und trat an eine Wand, als müsste sie sich festhalten.
Yelanah war aschfahl. Ihr Blick irrte zu Revyn, der wie vom Donner gerührt dastand, dann drehte sie sich um und rannte davon.
Revyn konnte sich nicht bewegen. Ardhes’ Worte hatten sein Herz getroffen und es herausgerissen - ein dunkles, schreckliches Herz. Und Yelanah hatte es gesehen.
»Warte!« Er rannte aus dem Zimmer. Yelanah verschwand am Ende des Ganges. Er lief hinterher, eine Treppe hinab, sprang über die Stufen, kam durch einen langen Korridor und eine Steinhalle. Er hatte sie fast eingeholt.
»Yelan! Yelan, warte! Bleib stehen!« Revyn bekam ihr Handgelenk zu fassen und hielt sie fest.
Mit glühenden Augen wirbelte sie herum. »Ein Mörder?« Die hohe Decke warf ihre Stimme laut zurück.
»Ich … ich bin … ich habe jemanden umgebracht, ja, ich bin ein schlechter Mensch, ich bin … Aber den Drachen, niemals! Niemals würde ich den Drachen was antun, das musst du mir glauben!«
»Ich soll dir glauben? Du hast gesagt, du hast kein Geheimnis! Ich habe dir vertraut, dich zu den Dar’hana geführt und in die Nebel gebracht! Und jetzt stellt sich heraus, dass du mein schlimmster Feind bist.«
Revyn konnte nichts erwidern. Alles, woran er dachte, war, dass er sie verloren hatte. Yelanah riss sich los. »Bitte!« Er hielt sie fest.
»Lass mich!« Ihre Faust traf seine Wange. Mehr aus Schock über den Schlag denn aus Schmerz taumelte er zurück. Benommen tastete er nach seinem pochenden Wangenknochen. Yelanah senkte die Hände und öffnete erschrocken den Mund, aber kein Ton kam heraus.
Plötzlich strich ein kühler Wind durch ihre Haare. Ein unheimliches Heulen irrte durch die Halle, das Echo eines Geräuschs, das nicht erklungen war. Revyn kniff die Augen zusammen.
Von irgendwo erschallte ein leises Pfeifen. Dann wurde es finster.
Erschrocken sah Revyn sich um. An den hohen Wänden der Halle krochen Schatten herauf. Sie wuchsen rasch. In der Höhe teilten sie sich und sprangen auf wie knorrige Äste. Aus dem Steinboden pulsierte Nebel. Wind brauste in die Höhe und zog Wolken mit sich, die zu schwarzen Tannen aufgingen. Die Tannen schlossen sich zu einem knarrenden, alten Wald. Dunkelheit glitt über Yelanah, doch ihr Blick war längst leer geworden. Aus der Ferne klangen verzerrte Drachenrufe. Wie hypnotisiert wandte sie sich zur Seite und mit einem Schritt verschwand sie hinter den rauschenden Zweigen der Tannen.
Revyn erhob sich. Die Halle, das Schloss, alles war verschwunden. Er stand im Wald … im Wald der Nebelwelt! Yelanah hatte die Nebel gerufen. Nein - die Nebel hatten sie gerufen.
»Der Ruf der Unwirklichkeit«, flüsterte Revyn. »Der Ruf … er hat sie!« Seine Brust krampfte sich zusammen. Dann rannte er los.
Zweige schlugen ihm entgegen. Der Wind heulte durch die Baumkronen und ließ die Blätter rauschen. Äste, Laub und Tannenzapfen flogen durch die Luft, das Ächzen von Holz erfüllte den Wald wie ein mehrstimmiges Stöhnen. Irgendwo hoch über Revyn, vielleicht aber auch direkt im Boden unter seinen Füßen, grollte der nahende Donner.
»Yelan!«, brüllte er. Der Wind verzerrte seine Stimme. Er hörte ein unwirkliches, helles Klirren wie von fernen Glocken. Plötzlich war die Umgebung in pochendes Weiß getaucht. Nebel stiegen.
»YELAN!«
Er sah sie in der Ferne über Wurzeln und Steine klettern wie eine Schlafwandlerin. Er brüllte ihren Namen, aber sie hörte ihn nicht. Nur das Klirren im Wind … es war so laut und unerträglich, dass sie sonst nichts wahrnahm. Die Unwirklichkeit würde auch sie holen, die letzte Meleyis , nun da sie alle Hoffnung begraben hatte.
Revyn verlor sie im wabernden
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