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Das Drachentor

Titel: Das Drachentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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waren mächtiger. Seine Brust entglitt ihren Armen, dann sein Arm, seine Hand, seine Finger. Zuletzt hielt sie nichts mehr von ihm in den Händen außer dem leeren Gefühl der Wärme, die die Erinnerung an seine Berührung heraufbeschwor. Und plötzlich wollte Yelanah nicht mehr kämpfen; sie wollte nicht mehr die Meleyis sein und den Tod für das Fortbestehen der Drachen willkommen heißen; sie wollte nicht mehr an der Vergangenheit festhalten, um die Zukunft der Menschen zu verhindern, es war ihr alles gleich. Sie wollte lachen. Sie wollte glücklich sein. Und leben.
    Ihre Träume veränderten sich. Nun lag sie in sommerlichen Wiesen. Grashalme strichen ihr leicht über die Haut, in all ihren Gliedern kribbelte es vor Wärme und Geborgenheit. Sie lag dicht an der Erde, dem Schoß des Lebens, und war in der Unendlichkeit der Wälder beschützt wie ein Kind in den Armen seiner Mutter. Sonnenstrahlen liebkosten ihr Gesicht. Manchmal waren die Drachen bei ihr, und sie spürte ihren Atem, ihre weichen Nüstern im Haar; dann lag Revyn neben ihr, sein Arm schlang sich um ihre Seite und sie hielt sein friedliches, schönes Gesicht in den Händen.
    Sie wusste noch während ihres Schlafs, dass die heilenden Kräuter ihr diese Träume schenkten. Aber ob der Frieden nun von ihr kam oder einer Medizin, was spielte das schon für eine Rolle? Sie ließ sich in ihren Traum fallen, wieder und wieder, während die Drachen sie wie Geister umgaben und Revyns Herz in dem ihren pochte.
    Als Yelanah zu sich kam, war ihr Körper mit Blütenwasser gewaschen, ihr Haar geordnet und ihre aufgesprungenen Lippen gesalbt. Kühle Umschläge lagen auf den Schrammen an ihren Armen und Beinen. Der Schein eines leise knisternden Herdfeuers umgab sie. Ohne sich umdrehen zu müssen, wusste sie, dass Khaleios neben ihr auf einem Schemel saß.
    »Danke«, murmelte sie.
    Mehrere Momente der Stille vergingen. Yelanah fand ihr gegenüber ein kleines sternförmiges Loch in der Rankenmauer der Hütte und konzentrierte ihren Blick darauf.
    »Deine Mutter war hier.« Eine Weile wartete Khaleios ab, ob sie etwas dazu sagen wollte. Dann rührte er nachdenklich in dem Kessel, der über dem Herdfeuer hing. »Sie hat dir Keijmahat gekocht, mit extra vielen Alrûsen, so wie du es immer mochtest. Du magst es doch noch so, oder?« Vielleicht lag es am Essensduft in der Hütte oder an dem lieblosen Tonfall, in dem Khaleios sprach, doch plötzlich fühlte Yelanah sich ganz krank vor Sehnsucht und einem unbestimmten Heimweh. Halbherzig hegte sie den Wunsch, ganz normal zu sein, ein Mitglied der Elfen, ohne besonderen Rang, ohne Aufgabe …
    »Willst du nichts dazu sagen?«, fragte Khaleios trocken. »Hast du kein Wort für die Fürsorglichkeit deiner Mutter übrig?«
    Yelanah schloss die Augen. »Dass ich ihr nichts sagen kann, dafür hast du ja schon gesorgt. Oder warum hast du sie sonst weggeschickt? Von allein gegangen ist sie bestimmt nicht.« Khaleios’ Schweigen war Antwort genug. Sie spürte förmlich, wie er zu atmen aufgehört hatte und vor sich hin starrte.
    Das erste Mal seit langer Zeit wunderte Yelanah sich über ihn. Damals, vor Jahren, als sie gemerkt hatte, dass der Geist der Nebel in ihr lebte und sie den Drachen angehörte, hatte ihre Mutter sie nicht gehen lassen wollen. Khaleios hatte sie gezwungen, es zuzulassen. Yelanah hatte nie so etwas wie Dankbarkeit für ihn empfunden, weil er ihr bei der Erfüllung ihres Schicksals geholfen hatte - noch hatte sie ihm je verübelt, dass er sie fortgehen ließ. Aber manchmal fragte sie sich doch, wieso ihre Mutter so an ihr gehangen hatte und Khaleios offenbar gar nicht. Vielleicht war er froh gewesen, dass sie gegangen war … vielleicht hatte er ihre Mutter nicht mit ihr teilen wollen. Vielleicht wollte Khaleios immer, in jeder Hinsicht, im Mittelpunkt stehen und hatte in ihr eine Gegnerin gesehen. Für ihn war alles ein Machtspiel.
    Yelanah atmete tief aus und öffnete wieder die Augen. Jetzt darüber nachzudenken war sinnlos. Es gehörte der Vergangenheit an, war wie eine kleine, unbedeutende Narbe, bei der sie vergessen hatte, woher sie stammte. Und im Grunde war es ihr auch egal.
    »Wir können reden, wenn du willst«, sagte Khaleios. »Was ist geschehen?«
    Bruchstückhaft erzählte sie ihm von ihrem Überfall auf die Drachenfänger und von den seltsamen Fremden, die Revyn und die Drachen verschleppt hatten. »Und jetzt«, schloss sie leise, »brauche ich deine Hilfe. Du musst Revyn finden. Wir müssen

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