Das Drachentor
er befand sich in einem Gitterwagen irgendwo in einer Felshöhle mitten in einsamen Hügelweiten. Außerdem wurde er für einen Drachenfänger gehalten und würde sterben, wenn er nicht für Alasar arbeitete. Das alles war doch verrückt! Es sollte nicht so sein, wie es war. Es passte nicht in sein Leben.
Sein Leben … waren Yelanah und die Drachen denn wirklich sein Leben? Vor nicht langer Zeit hatte er nach Logond gehört, in den Krieg, zu Capras, Jurak, Twit und den Zähmern, und davor …
Was war sein Leben schon? Er war wie eine Pflanze, die in neuem und wieder neuem Boden Wurzeln schlägt und keine Heimat kennt. Immer wieder wurde er aus der Welt herausgerissen, in die er zu gehören glaubte. Immer wieder verlor er die Menschen, die ihm nahestanden: Seine Familie war zerfallen, er hatte sich seinen Freunden entfremdet, und nun, da er endlich Yelanah und die Drachen gefunden hatte, war er einfach von ihr fortgezerrt worden. Was machte er denn falsch?
Dann kamen ihm die Worte des Propheten in den Sinn und er erschauerte vor Wut und vor Angst. Du bist ein Ahirah … ob du willst oder nicht.
Was auch immer Octaris gemeint hatte, was auch immer er wusste - er hatte gesehen, dass Revyn einmal hier sein würde. Das war sein Schicksal. Revyn fühlte sich vollkommen machtlos.
Ewigkeiten schienen zu vergehen. Revyn konnte die Zeit an keinem Anhaltspunkt messen. Das Licht der Fackeln, die etwas abseits seines Gefängnisses in den Felsnischen steckten, umgab ihn unverändert; nur wenn das Holz niedergebrannt war oder sich ein plötzlicher Wind hinunter verirrte, erloschen sie. Vielleicht Stunden, vielleicht Tage später kam ein Höhlenkind, um das Feuer wieder zu entfachen. Hatte Revyn Licht, so sehnte er die Dunkelheit herbei, und war es so schwarz um ihn, dass er nicht einmal sich selbst erkennen konnte, brach ihm vor Panik kalter Schweiß aus.
In der Finsternis sah Revyn Yelanah. Es dauerte eine Weile, bis sie zu ihm kam. Dann sah er sie ganz deutlich. Ihr Körper löste sich aus der Dunkelheit wie ein silberner Fisch aus einem schwarzen Teich. Nicht einmal die Gitterstäbe konnten sie aufhalten. Revyn spürte ihr Gesicht unter den Fingerspitzen, sie schloss ihre Arme um ihn, doch sie waren aus Nebel, und sobald sie ihn berührten, zerfiel ihre Gestalt.
Anfangs versuchte er, die Nebel zu rufen. Könnte doch der alte, dunkle Wald vor ihm aus dem Nichts wachsen wie damals in der Schlosshalle! Er sehnte den San Yagura Mi Dâl herbei, flüsterte nach den Bäumen … er versuchte sogar, den Ruf der Unwirklichkeit heraufzubeschwören, der damals im Schloss von Awrahell ertönt war. Aber alles blieb vergebens. Die Welt der Nebel ließ sich nicht rufen - sie öffnete sich, wenn man sie fand.
Revyn gab auf. Er umschlang seine Beine mit den Armen, er rollte sich ein und grub die Finger in den Stoff seiner Kleider. Er wollte vergessen, dass er er selbst war. Schon einmal hatte er den Wunsch gehabt, sich zu verlassen - vor nicht langer Zeit, als er ein Waisenjunge gewesen war. Dieselbe Lähmung ergriff ihn wie in jenen Tagen nach dem Tod seiner Mutter. Dann wieder brannte in ihm die Sehnsucht, und er wollte nicht aufgeben, er wollte rennen, so schnell er konnte, bis er endlich wieder bei den Drachen und Yelanah war, wo sein Kampf stattfand und wo er hingehörte.
Kam eines der Höhlenkinder mit Licht und scheuchte die undurchdringliche Finsternis in ihre Winkel zurück, wich auch Revyn in die hinterste Ecke des Käfigs. Der Fackelschein blendete ihn so sehr, dass er die Augen zukneifen musste. Das Licht ließ Yelanah verschwinden und brachte die Wahrheit zurück: Er war ein Gefangener, dreck- und blutverkrustet. Alles, was er je gewesen war, lag so weit hinter ihm.
Langsam und gierig wie ein Parasit fraß der Hunger sich in seinen Bauch. Die zarten Rinnsale, die von der Felswand liefen, konnten seinen Durst kaum stillen. Er konnte sich bald nicht mehr bewegen. Jede Regung kostete ihn zu viel Kraft. Sein Kopf war eine pulsierende Masse, ein einziger Schmerz.
Außer leisen Schluchzern kam kein Laut über seine Lippen. Er rief nicht nach Hilfe. Er rief nicht den Namen, der ihn von Durst und Hunger erlösen würde. Er konnte nicht. Und wenn er auch den Verstand verlor, nie würde er für Alasar einen Drachen zähmen.
Igola hatte sich mit den Jahren verändert. Ihr Gesicht wirkte streng und ein wenig verbissen. Was früher sanfte Lachfalten und Runzeln mütterlicher Besorgnis gewesen waren, hatte sich in die Furchen
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