Das Drachentor
Rathaus von Logond. Hier tagt der Stadtrat unter dem Vorsitz des Königs, wenn er uns mit seinem Besuch beehrt, und debattiert über die Planung, die Strategien und die Kosten des Krieges. Wenige Leute haben jemals in ihrem Leben das Privileg, dieses Gebäude zu betreten, und ich möchte, dass du es auch als Privileg betrachtest.«
Revyn nickte. Dann folgte er Korsa durch den von Fackeln erhellten Gang. Rechts von ihnen gaben hohe Fenster den Blick auf den Übungsplatz der Drachenkrieger frei. Links führten verschiedene Treppen hoch und hinunter oder reihten sich Türen aneinander. Hin und wieder erklärte der Kommandant ihm, wohin die Türen und Treppen führten - zum Speisesaal, zu Übungsräumen, zur Küche, zur Lagerhalle, zu den vier Ställen der Reitdrachen und zu den Sälen, Hallen und Räumen des Stadtrates. Es schien, als sei das Gebäude eher ein Palast als ein Rathaus.
Am anderen Ende des Korridors blieb Korsa vor einer Kammer stehen und bedeutete Revyn einzutreten. Als er im Türrahmen stand, legte Korsa ihm eine Hand auf die Schulter. »Ich hoffe, du bist dir darüber im Klaren, was es bedeutet, dass du jetzt hier bist. Die meisten Männer träumen ihr Leben lang davon, ein Drachenkrieger zu werden. Ich will nicht bezweifeln, dass du aus gutem Grund hergebracht wurdest - Meister Morok hat immer gute Gründe. Er weiß, was er tut, und vor allem, wofür er es tut. Und du weißt es hoffentlich auch. Aber genug davon.« Korsa stieß die Luft lange durch die Nase aus und lächelte. »Schlaf gut, Kamerad. Denn morgen erwartet dich viel Arbeit.«
Revyn nickte benommen und dann schloss sich die Tür und er stand mit tausend Fragen alleine in der Dunkelheit.
Er konnte kaum einschlafen. Alles um ihn war fremd und aufregend und nicht annähernd so schrecklich, wie er es sich ausgemalt hatte. Ja, er konnte kaum erwarten, seine neue Heimat im Licht des Tages zu sehen. Die Gerüche des frischen Holzes, aus dem das Bett gezimmert war, und der weichen, sauberen Kissen machten ihn ganz unruhig vor … vor Freude.
Verwirrt wälzte er sich auf die andere Seite. Er hatte nicht gedacht, je wieder glücklich zu sein. Und er hatte es nicht verdient. Wieso wurde er ausgerechnet jetzt so vom Schicksal beschenkt? Er hatte Schreckliches getan, das stand außer Frage. Aber statt Gerechtigkeit widerfuhr ihm Glück … und davor hatte das Leben ihn nur bestraft. Revyn raufte sich die Haare. Das bequeme Bett schien ihn plötzlich zu verhöhnen, ja, es war purer Hohn, dass jemand wie er hier lag. Die Freude, die ihm im Bauch kribbelte, bereitete ihm Übelkeit.
Vielleicht gab es keine Gerechtigkeit! Vielleicht gab es nur Menschen, gute und böse Menschen, und je mehr man sich bemühte, zu den Guten zu gehören, umso mehr verspottete einen die Welt.
Mirans Mut hatte ihm den Tod gebracht. Und sein Vater … Womöglich war er gar nicht in einer Schlacht gestorben. Der Gedanke, dass ihm gar ein ähnliches Glück vergönnt gewesen sein könnte wie Revyn, machte ihn rasend.
Er rieb sich übers Gesicht, bis sich die Haut heiß anfühlte. Dann überkam ihn doch der Schlaf, und er schlief besser und tiefer, als sein Gewissen hätte zulassen dürfen.
Laute Hornrufe erklangen von den Stadtmauern. Verwirrt richtete Revyn sich in den Laken auf. Noch einmal schallte der Ruf der Hörner durch das Fenster über seinem Bett, um die Krieger zu wecken. Das erste Licht des Tages tauchte die Kammer in blasses Rosa.
Revyn sah sich einen Augenblick in seinem neuen Zuhause um, denn in der Dunkelheit gestern hatte er kaum etwas erkannt. Viel gab es nicht zu sehen außer dem Bett, einer kleinen Truhe und einem Stuhl. Schließlich griff er nach seinen Kleidern, die er letzte Nacht über den Stuhl gelegt hatte. Gerade hatte er einen Fuß ins erste Hosenbein gesteckt, da wurde die Tür aufgerissen.
»Aufstehen!«, rief ein junger Mann und warf ihm ein Kleiderbündel zu. Vor Schreck fiel Revyn mitsamt dem Bündel auf sein Bett zurück und kämpfte einen Augenblick lang mit den Decken um seine Würde. »Ah - ich, verflucht!«
»Anziehen und dann den Gang geradeaus zum Frühstück, Kamerad!«
Die Tür fiel ins Schloss, kaum dass Revyn wieder aufgesprungen war, halb in seine Decke gewickelt, und ein »Ja« stammeln konnte. Er schloss kurz die Augen und biss die Zähne aufeinander, bis sein Gesicht nicht mehr glühte. Aber schließlich musste er lächeln. Mit gerunzelter Stirn fuhr er sich über die zerzausten Zöpfe und drehte sich zu seinen neuen
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