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Das Drachentor

Titel: Das Drachentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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Kleidern um.
    Die Uniform war so schön, dass Revyn sie einen Augenblick nur anstarren konnte. Sie bestand aus einem schwarz gefärbten Lederharnisch, dessen viereckige Nieten ihm funkelnder und leuchtender vorkamen als die Diamanten eines Königs. Ein schlichter Überschlag stützte den Nacken, ganz so wie bei richtigen Kriegern - mit einem flauen Gefühl erinnerte Revyn sich daran, dass er selbst nun auch ein richtiger Krieger war. Mehr oder weniger.
    Zu dem Harnisch hatte Revyn einen Gürtel bekommen, an dem zahllose Haken, Beutel und Verschlüsse angebracht waren. Eine Weile versuchte er, ihren Zweck zu ergründen, aber er klemmte sich bloß den Finger in einem auf- und zuschnappenden Geheimfach ein. Sicherheitshalber ließ er dem Gürtel vorerst seine Mysterien. Zu der Uniform hatte er auch eine Leinenhose, ein Hemd und Unterwäsche bekommen. Vorsichtig, als seien die neuen Kleider eine Kostbarkeit, die Revyn nur geliehen worden war, zog er sich an. Der Harnisch war ihm ein wenig zu groß, sodass der Kragen immer verrutschte, und die zu weiten Ärmel ließen seine Schultern um einiges breiter wirken, als sie waren. Zu Revyns Entzücken entdeckte er auch noch wundervoll gearbeitete Lederarmbänder und streifte sie sich sogleich über; sie sollten offenbar die Handgelenke beim Reiten der Drachen stützen. Schließlich schlüpfte er in die Stiefel, die ihm ebenfalls ein wenig zu groß waren, und schnallte sich vorsichtig seinen Gürtel um. Dann trat er in den Korridor hinaus.
    Helles Tageslicht fiel durch die Fenster zu seiner Linken und malte goldene Streifen in den Korridor. Junge Männer, wie Revyn gekleidet, liefen an seiner Tür vorbei in Richtung Speisesaal, und Revyn schloss sich dem Strom schwatzender Drachenkrieger an. Bald schon erspähte er eine geöffnete Doppeltür, aus der laute Stimmen, Klirren und Stühlerücken drangen. Er betrat eine Halle mit dunklen Holzwänden. An vier langen Tafeln aßen mehr als hundert Männer. Links von der Eingangstür waren Kessel aufgestellt, vor denen sich die Neuankömmlinge in einer Schlange anstellten. Revyn reihte sich ein.
    Während er auf seine Ration wartete, sah er sich im Speisesaal um. Tatsächlich waren die meisten Krieger, die an den Tischen ihren Haferschleim schlürften und die neusten Klatschgeschichten austauschten, kaum älter als er selbst. Bärtige, finster dreinblickende Riesen, wie Revyn sich die Soldaten vorgestellt hatte, fanden sich hier nicht.
    Endlich war Revyn an der Reihe. Ein Mann, der ebenfalls die schwarze Uniform trug, goss eine Suppenkelle voll Haferbrei in eine Holzschüssel und überreichte sie Revyn mit einem Löffel und einem freundlichen Nicken. »Hier, Kamerad.«
    »Danke … Kamerad«, murmelte Revyn, nahm die Schüssel entgegen und drehte sich um. Seine Füße bewegten sich unaufhaltsam auf die Tische zu, und ihm blieb nur noch wenig Zeit, um zu überlegen, wie er sich möglichst unauffällig zwischen die anderen Männer zwängen sollte. Aber da hatte man ihn bereits bemerkt, und ein Junge rutschte zur Seite, um ihm Platz zu machen.
    »Setz dich zu uns, Kamerad!«, forderte er ihn auf. Revyn kam mit einem scheuen Lächeln näher. »Bist gestern neu gekommen, was?«, fragte der Junge und musterte ihn von oben bis unten. Revyn blickte ebenso neugierig zurück: Die Augenbrauen des Kriegers schienen erstaunlich beweglich, und seine Lippen sahen aus, als könnten sie sich zu jeglicher Art von Lächeln kräuseln. Das hellbraune Haar war so lang, dass er sich die meisten Strähnen im Nacken zusammenbinden konnte.
    »Woher weißt du, dass ich gestern neu gekommen bin?«
    Der Junge musterte ihn mit einem abschätzenden Lächeln. »Ich weiß alles, was in Logond vor sich geht, vom Mausepieps bis zum Schnarchen deiner Oma. Bin nämlich ein mächtiger Hellseher mit tausend Ohren am Hintern. Mein Name ist übrigens Capras.«
    Revyn war nicht sicher, ob der Junge sich über ihn lustig machen wollte. Nach kurzem Zögern sagte er: »Ich heiße Revyn.« Sie schüttelten sich die Hände. Revyn hatte den Verdacht, dass der Junge seine Finger ein wenig mit Absicht einquetschte.
    »Und wie gefällt’s dir hier?«
    »Ich hab noch nicht viel gesehen.«
    »Ah so«, murmelte Capras. »Dann werd ich mal anfangen, dir ein paar Leute zu zeigen.« Er beugte sich näher zu Revyn vor. »Dreh dich mal um. Dahinten am Tisch sitzen die Windreiter.« Eine widerwillige Ehrfurcht lag in Capras’ Stimme. Revyn drehte sich um und sah eine Gruppe von Männern, die

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