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Das dreizehnte Kapitel (German Edition)

Das dreizehnte Kapitel (German Edition)

Titel: Das dreizehnte Kapitel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Dann sind wir, Sie und ich, einander wieder näher.
    Mir wären Sie am liebsten teilnahmslos. Dass Sie sich mit L. u. L. beschäftigt haben, tut mir jetzt weh. Sie wissen noch genauer als ich, dass die beiden Ihre und meine Teilnahme nicht brauchen. Seien Sie, bitte, teilnahmslos! Dass Sie frei wären für mich. Die nichts will. Als dass Sie teilnahmslos sind. Und die nicht wissen will, warum sie das will. Ich selber bin mir am liebsten teilnahmslos. Es kommt mir vor, dann sei ich am ehrlichsten. O Gott, was für Wörter. Teilnahmslos, das wäre auch: wortlos. Vielleicht sogar: wertlos.
    Mein Vater tut so, als wache er auf. Ich grüße Sie auf die neue Art,
    Ihre Maja

    Von meinem iPhone gesendet

21
    Berlin, 3. November 2010
    Liebste Freundin,
    diese Technik stiftet das immerwährende Pfingsten, sagt jetzt Ihr opportunistischer Lehrling. Was für eine dramatische Ermöglichung unmöglicher Aussagen! Wo Sie sind, wo ich bin – wir haben ein link . Ich muss mich zwar der abstrakten Tastatur ausliefern, dafür aber ist die Illusion einer Erreichbarkeit sondergleichen entstanden. Ich werde jetzt den Apparat jeden Tag nach Ihnen fragen. Und ich werde, das verspreche ich, kein bisschen enttäuscht sein, wenn der Apparat meldet: Es sind keine Objekte in dieser Ansicht vorhanden . Schon dass er das so unbeholfen tut, zeigt mir, er würde lieber eine noch ungelesene E-Mail anbieten. Ich werde mich, auch wie immer, beherrschen und nur schreiben, wenn Sie geschrieben haben. Aber nie mehr sollen 14 Tage vergehen, bis ich antworte. Wenn Sie’s nicht ausdrücklich verbieten, antworte ich immer sofort. Die Pausen können dann Sie produzieren.
    Ihr technikfroher
Basil

22
    8. November 2010
    Lieber, lieber Freund,
    jetzt verrate ich nur noch mich! Was ich zur Zeit lese. Schon seit Wochen. Und verriet es nicht. Jetzt aber verrate ich’s: Karl Barth, Charlotte von Kirschbaum, Briefwechsel, Band I.
    1925–1935. 559 Seiten. «Dein Karl Barth»und «Lollo». Er, verheiratet mit Nelly, fünf Kinder, und schon der Star am öde gewordenen Religionshimmel Europas. Und doziert sich und sie gleich hinein in die Ermöglichung des Unmöglichen: «Wären wir beide ledige Leute, so wäre die Entdeckung, die nun unwiderruflich gemacht ist, einer von jenen Augenblicken von Frühling, Freude und Leben, mit denen Gott uns törichte, verkehrte Menschenkinder mitten in unserer Finsternis manchmal segnet. So wie die Dinge stehen, ist dieselbe Entdeckung ein Augenblick des Leides und der Entsagung, über deren Notwendigkeit wir uns, wiederum im Glauben an Gottes Gerechtigkeit, so wenig wundern dürfen, wie wir das Andere als selbstverständlich hinnehmen dürften.» Und dann: «Ich habe mir mit diesem Brief (ein merkwürdiges Dokument der ‹Barth’schen Theologie›, völlig einzig in seiner Art) meine eigene Not ein bißchen vom Herzen geschrieben. Wie gerne wollte ich, es wäre dir auch ein wenig damit geholfen.»
    Nein! Mir so wenig wie Lollo. Immer wieder bricht zum Glück der Mensch selber durch durch die versuchte Ablenkung ins Theologische: «Nur davor habe ich jetzt Angst, du könntest plötzlich nach München reisen und nicht zu mir kommen wollen. Gelt, gelt, du kommst?» Diese Entwicklung zu erleben, diese eigentlich am Herkömmlichen, aber immer schon Sittlichen scheitern müssende Entwicklung, die doch keine Sekunde lang scheitern darf, das ist eine Hochfahrt der Seele ins absolut Wohltuende. Das ist der schmerzensreiche Triumph des Richtigen über das Falsche. Das von Brief zu Brief zu erleben ist die Stärkung des Gefühls, das bis zum Augenblick dieser Lektüre heimatlos war. Da steht: «… es gibt ein freilich schwer zu umschreibendes gewisses Recht , das wir auf einander haben, und dieses Rechtes dürfen und werden wir uns freuen . Du sollst also nicht nur mit ‹Angst› hieher kommen, sondern auch mit Freude.»
    Was dieses Lesen mit mir macht, sage ich nicht. Dazu bin ich zu wenig Karl Barth. Aber dass ich Ihnen den Vorgang überhaupt verrate, nehme ich mir nicht übel. «Ich hab dich halt so lieb . Dein K.»
    Wie finden Sie das? Bitte, bedenken Sie, er war und ist mein Meister! Den ich geprüft und geprüft habe, wie ich noch nie etwas oder jemanden geprüft habe, und es ist kein Fehl an ihm. Schlimm aber, er macht mich jetzt als Briefschreiber so schwach und so stark, wie ich noch nie war, so schwach und so stark. Und Sie dürfen es mir, wenn Sie können, übel nehmen: aber er hat mich in eine Stimmung hineingeschrieben,

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