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Das dreizehnte Kapitel (German Edition)

Das dreizehnte Kapitel (German Edition)

Titel: Das dreizehnte Kapitel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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andere als gutartige Dempster Highway, dann Inuvik, dann Tuktoyaktuk, dann, das weiß er nicht, was dann ist.
    Ich war froh, dass Korbinian nicht sagte, Inuvik sei auch unsere Endstation.
    Aber wir werden dann zurückfliegen, zuerst Yellowknife, dann Calgary, dann Frankfurt. Kann sich das mein ferner Freund überhaupt noch vorstellen?
    Bitte sag es mir nicht. Bleib stumm.
    Korbinian braucht meine unverminderte Gegenwart. Ich muss ihm andauernd bestätigen, dass ich da bin, bei ihm bin. So gebraucht zu werden, das habe ich mir doch immer gewünscht. Und jetzt?
    Lieber Freund, soll ich mir undurchschaubar vorkommen? Auch für mich selbst.
    Ach ja, sagte Korbinian, als wir in unseren Schlafsäcken lagen, was Frauen alles einfällt. Ich konnte nichts sagen. Er dann: Seine Frau sei keine Japanerin, hat er gesagt, das hieß, eine Japanerin hätte das nicht verlangt.
    Am nächsten Morgen sind wir früh unterwegs, aber nach einer Stunde fährt, heftig nickend und winkend, der Japaner an uns vorbei. Dass wir die Langsamsten sind, liegt sicher an mir. Als die Straße sich gerade einmal in einem freundlichen Bogen abwärts schwingt, kommen uns drei Bären mitten auf der Straße entgegen. Wir steigen sofort ab. Korbinian: Eine Mutter mit zwei Jungen. Da ruft uns schon eine Frau aus einem Van zu, wir sollen schnell kommen. Wir lassen die Räder liegen und rennen zur offenen Tür. Aber bis wir richtig drinnen sind, hat sich’s die Bärin anders überlegt. Seitwärts weg in den Wald. Ich, im Aufsteigen: Die hätte ich fotografieren sollen! Korbinian, der, wenn er mit Ludwig tourte, Tag und Nacht knipste und drehte, überlässt jetzt das Fotografieren mir. Entweder es ist in uns, oder es ist nicht, sagt er jetzt. Unrecht hat er da nicht, aber ich hätte die Bären trotzdem gern fotografiert.
    Am Abend machen wir uns auf dem verwilderten Coal Mine Campground Carmacks wieder ein Feuer, ohne Mücken diesmal, aber ein Amerikaner aus Tennessee, dem die angegrauten Haare bis auf die Schultern hängen, will nicht mehr von uns lassen. Er setzt sich nicht einfach dazu wie der Japaner – wir haben ja wegen Roderich immer drei Campingstühle aufgestellt. Er kommt vorbei, bleibt stehen, sieht sofort, dass wir seinen Rat brauchen. Er erinnert uns daran, dass auf dem Schild am Eingang zum Platz nicht nur Campground steht, sondern: Bear Area. Also Vorsicht. Die wenigen Zelte auf diesem Platz verschwinden ja nicht wie meistens zwischen den riesigen Wohnmobilen der Amerikaner, sondern stehen hier ziemlich schutzlos da, geradezu einladend für diesen oder jenen hungrigen Schwarzbären. Also ein Paket mit Ess-Zeug zwei Meter vom Zelt an einen Ast gehängt, das akzeptiert der Schwarzbär als Abfindung. Wir bedanken uns.
    Er ist ein Gentleman, also tut er so, als hätte er sich gleich vorstellen müssen: Christopher McGee, Nashville, Tennessee, Professor für Slawistik. Und weil Korbinian und ich jetzt doch irgendwie berührt schauten, setzte er sich auf den für Roderich bestimmten Stuhl. Und blieb da sitzen. Natürlich mussten wir ihm Bier anbieten. Es sei der deutsche Laut gewesen, der ihn dazu verführt habe, bei uns stehen zu bleiben. Er hat in Heidelberg studiert. Slawistik. Bei Gerigk. Die schönste Zeit seines Lebens. Gewohnt draußen Am Pferchelhang.
    Das meiste machte auch an diesem Abend das Lagerfeuer. Und warum ich mir merken musste, was der Professor aus Nashville zum Besten gab, wirst Du gleich verstehen. Er brauchte Stunden für das, was ich Dir in Minuten liefere. Er war verliebt in die Rektorin seiner Uni, die aber liebte einen Professor für Philosophie, machte den auch noch zum Vize-Rektor. Unser Verliebter ließ seine Studenten ein Plakat produzieren und in der Uni überall anschlagen. Text: Die Rektorin und der Philosoph sind gleich braun. Ihr Gesicht und seine Glatze gleich braun. Woher dieses tiefe Dunkelbraun das ganze Jahr über? Solarium? Niemals. Es muss sich um dieselbe Insel handeln. Es handelt sich um ein und dieselbe Insel!
    Er gibt zu, dass er erwartet hatte, die Rektorin werde ihn zu ihrem Vize machen. Dass es das Wesen jeder Erwartung ist, über alles Mögliche hinauszugehen, hat er nicht gewusst. Jetzt weiß er es. Aber das hat keinen Einfluss auf ihn. Seine Erwartung ist unbelehrbar. Immer von Heiterkeit gefedert: die Sachlichkeit der Mathematikerin, jetzt Rektorin. Nie und nirgends aufzuhellen: das Berufsmelancholische des sauertöpfischen Philosophen. Der lächelt zwar ununterbrochen, aber dieses immer ein

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