Das dreizehnte Opfer: Thriller (German Edition)
…«
Alice sah mich von der Seite an. »Du solltest schlafen.«
»Kann nicht.« Der Tay war nur ein flacher grauer Streifen jenseits der Schnellstraße, mit einer langen Reihe von dürren Bäumen, die davor Wache standen. Die nur darauf warteten, uns in die gefrorene Erde herunterzuziehen. »Tut weh. Brauch meine Medikamente.«
»Du solltest nicht …« Sie umklammerte das Lenkrad. »Ash, das ist Gift.«
»Es wirkt. Ich habe es mit Diclofenac und Tramadol probiert, hat alles nichts genützt. Wir müssen anhalten …«
Alice leckte sich die Lippen. »Kannst du bis Dundee durchhalten?«
Brennendes Benzin brandete über mein Bein hinweg, bläuliche Flammen, die knisterten und zischten, die Muskeln wegfraßen und die Knochen darunter verkohlten.
»Ash?«
Ich kniff die Augen fest zu. Biss auf die Zähne. Nickte. »Dundee.«
»Wir müssen sowieso bald tanken.«
Die Wärme breitete sich von der Mitte meines Brustkorbs aus, drängte die scharfen Schredderklingen zurück in meinen Oberschenkel, dann ins Schienbein, dann in den Fuß … und weg waren sie. Die Kopfstütze war wie ein warmer Schoß, in den ich mein Haupt betten konnte.
Eine kühle Hand auf meiner Stirn streichelte die Schmerzen weg.
»Du glühst ja.«
»Mmmm …« Ich ließ die Spritze los – die andere Hälfte des Briefchens von heute Morgen –, und sie fiel auf die verdreckte Fußmatte.
»Möchtest du ein Sandwich – oder Chips, ich hab auch Chips gekauft?«
»Hab kein’ Hunger.«
»Ash, du musst etwas essen, und du musst viel Flüssigkeit zu dir nehmen, und du kannst nicht so weitermachen, wir müssen ins Krankenhaus.«
»Brauch Henry …«
Sie biss sich auf die Unterlippe. Lehnte sich auf ihrem Sitz zurück und sah auf ihren Schoß hinunter. »Er geht nicht ans Telefon.«
Der Motor erwachte schnurrend zum Leben, und wir fuhren wieder los, flogen durch den Schnee, durch dicke weiße Flocken, die im kalten Morgenlicht wie kleine Sonnen funkelten.
In meinem Schoß lag ein Eiersandwich. Ich starrte es an, aber es rührte sich nicht. »Rebecca hat Eiersandwichs gemocht. Sie hatte diesen … diesen imaginären Freund, als sie klein war, und sie hat behauptet, der wäre ein Serienkiller. Immer wenn eine Serie im Fernsehen abgesetzt wurde oder sie eine Sendung nicht sehen durfte, hatte der böse Nigel wieder mal zugeschlagen.« Ich lehnte mich mit der Wange an das Beifahrerfenster, kühl und glatt. »Es ist … so lange her.«
»Es tut mir leid, dass sie weggelaufen ist.«
»Sie ist nicht weggelaufen. Er hat sie entführt.«
Auf dem Kingsway war viel Verkehr, Autos und Busse krabbelten über den Rücken von Dundee hinweg und mieden die lebenswichtigen Organe der Stadt. Auf der rechten Seite zog mit achtzig Stundenkilometern das Einkaufszentrum vorbei, wo die Partycrasher sich im fünften Stock eines Kettenhotels eingenistet hatten. War erst eine Woche her, hätten aber genauso gut Monate sein können.
Ich barg das Eiersandwich an meiner Brust wie ein Baby. »Wir wussten nicht, was mit ihr passiert war … Michelle weiß es immer noch nicht. Den einen Tag war Rebecca noch da, und wir haben diese Riesenparty geplant, und am nächsten Tag war sie weg. Kein Abschiedsbrief, kein Wort. Ich bekam die erste Karte an Rebeccas vierzehntem Geburtstag. Happy Birthday! Die Zahl eins war in die obere Ecke gekratzt, damit ich wusste, dass noch mehr kommen würden.«
Das Heroin kribbelte in meinen Fingern und Zehen, als ob sie sich losreißen und davonfliegen wollten. »Ich bewahre sie alle in dieser Zigarrenkiste auf, die Rebecca mir zu Weihnachten geschenkt hat, als sie sechs war. Keine Ahnung, wo sie die gefunden hat, aber sie hat sie angemalt und mit Pailletten und Glitzer beklebt … Und da verstecke ich sie.«
»Aber warum hast du nicht –«
»Sie hätten mich von dem Fall abgezogen. Ich hätte auf meinem Hintern sitzen und zuschauen müssen, wie sie alles verbocken. Ich hab’s nie irgendwem gesagt, nicht mal Michelle. Auf die Weise bleibt ihr wenigstens noch die Hoffnung.«
»Ash, sie muss es wissen, sonst kann sie nicht richtig trauern; sie –«
»Manchmal ist es besser, etwas nicht zu wissen.« Ich zuckte mit den Achseln. »Ist jetzt sowieso einerlei – sie haben Rebecca gestern gefunden, schon vergessen? Die überzählige Leiche im Park, zusammen mit all den anderen. Mein kleines Mädchen in einem Loch in der Erde, ihre Knochen verfärbt wie getrocknetes Blut.«
»Oh, Ash.« Alice drückte meinen Arm. »Es tut mir so leid.«
»Mir
Weitere Kostenlose Bücher