Das dreizehnte Opfer: Thriller (German Edition)
vielleicht sechs Minuten vergehen, bevor jemand sich die Mühe machen würde, uns auseinanderzuzerren. Vermutlich würden sie alle im Kreis um uns rumstehen und Wetten abschließen. Na los, auf ihn! Mach ihn fertig! Fünf Minuten – reichlich Zeit, um den arroganten Scheißkerl so richtig windelweich zu prügeln. Ich ballte die Fäuste. Die Knöchel protestierten knirschend. Aber das wäre es wert.
Er trat einen Schritt vor –
Eine Stimme hinter mir: »Chef?« Ein Oldcastle-Akzent, der sich anhörte, als würde er durch eine verstopfte Nase gezwängt: Rhona. Sie kam herangeschlurft und sah mich an.
Die Ringe unter ihren Augen waren die einzigen Farbtupfer in ihrem Gesicht. Sie hatte ihre Jacke über eine Schulter gehängt, obwohl es in Strömen regnete und so kalt war, dass ihr Atem Wolken bildete. Alte Schweißflecken hatten ihre marineblaue Bluse um die Achselhöhlen herum hellblau gebleicht. Das strohblonde Haar hatte sie zu einem fransigen Pferdeschwanz zurückgebunden. Sie schürzte die Oberlippe zu einer nervösen Grimasse, wobei sie ein beigefarbenes Gebiss und reichlich blasses Zahnfleisch sehen ließ. »Entschuldigen Sie die Störung, Chef. Haben Sie einen Moment Zeit?«
DS Smith hatte den Kopf gesenkt, mit einer Hand massierte er sich die Schläfen. » Was? «
Aber Rhona sah gar nicht ihn an, sie sah mich an. »Der Boss fragt nach Ihnen.«
Smith straffte die Schultern. »Ich bin gleich da –«
»Oh, tut mir leid, Sergeant Smith, Sie hatte ich gar nicht gesehen.« Rhona ließ noch einmal ihr blasses Zahnfleisch aufblitzen, dann deutete sie auf mich. »Ich habe nicht mit Ihnen geredet, sondern mit –«
Smiths Kinn schnellte in die Höhe, und er stieß die Worte zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »In einer professionellen Polizeitruppe verwenden wir für einen Detective Constable nicht die Anrede ›Chef‹ – habe ich mich klar ausgedrückt?«
Rhona lächelte ihn nur eine Weile an. Dann wandte sie sich wieder mir zu. »Wie gesagt, Chef, wenn Sie mal eben reinschauen könnten, das wäre super.«
6
Das Zelt der Spurensicherung zitterte im Regen, der auf das blaue Plastik niederprasselte wie auf tausend kleine Trommeln. Drinnen übertönte das Geräusch fast den Dieselgenerator in der Ecke, der den Strom für die auf dickbeinigen Stativen montierten Scheinwerfer lieferte. Das geräumige Zelt war in drei Bereiche aufgeteilt: Der erste war mit normalem blau-weißem Polizeiband vom Rest abgeteilt, hier mussten die Besucher sich anmelden und Schutzkleidung anlegen. Die restliche Fläche war mit Gras und Unkraut bewachsen, wobei die Fundstelle vor der hinteren Zeltwand noch einmal separat mit dem leuchtend gelben Tatort-Absperrband gesichert war.
Es war ein offener Graben, ungefähr so groß wie ein Doppelbett. Mehrere Gestalten in weißen Overalls knieten am Rand und schaufelten behutsam Erde und Steine in Plastikkisten, begleitet vom Klicken und Surren der Digitalkamera des Fotografen, der alles für die Nachwelt festhielt.
Aus der dunklen Erde ragten Knochen.
Bitte, sei nicht Rebecca. Sei irgendwer, nur nicht sie …
»… und grober Ungehorsam.« DS Smith zog die Schultern zurück, die Nase in die Luft gereckt, den Arm gerade ausgestreckt, und zeigte mit zitterndem Finger auf mich. » DCI Weber« – er sprach den Namen wie ›Webber‹ aus –, »ich muss darauf bestehen –«
»›Wie-ber‹, es wird ›Wie-ber‹ ausgesprochen. Sandy, wir haben das doch schon besprochen.« Detective Chief Ins pec tor Weber zupfte an den Enden seines gestreiften Schals. Die Schultern seines Tweedjacketts waren mit einer dünnen Schicht kurzer brauner Haare bedeckt – offenbar hatte er heute Morgen zur Haarschneidemaschine gegriffen, um die Tatsache zu kaschieren, dass auf seinem Kopf in dieser Hinsicht nicht mehr viel los war: nur ein Saum über den Ohren und eine einsame Insel in der Mitte, umgeben von einem Wassergraben aus glänzender Kopfhaut. Sein Bart hatte die gleiche Länge – als hätte er oben mit dem Schneiden angefangen und einfach vergessen aufzuhören. Er rückte seine Brille mit dem schwarzen Kassengestell zurecht und seufzte. »Nun ja, ich denke, nach jeder Versetzung gibt es erst mal eine Phase der Umstellung, aber früher oder später werden Sie sich schon eingewöhnen.«
Smiths Wangenknochen verfärbten sich pink. »Aber Sir, ich –«
»Nein –« DCI Weber hob eine Hand. »– machen Sie sich keine Vorwürfe. Ich bin sicher, wenn das Team Sie einmal besser kennengelernt
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