Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das dritte Leben

Das dritte Leben

Titel: Das dritte Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Cordes
Vom Netzwerk:
gezeugt und nun, in ihrer Verzweiflung, da sie ihr eigenes Kind verloren hatte, den Weg zu seiner Rettung sah.
    Hilde starrte blind in die Dunkelheit ihres Krankenzimmers. Arme kleine Sabine. Ein Grab in der eisigen Ostsee, weil deine Mutter einen Moment lang nicht aufpaßte.
    »Hilde!« Alexa schrie ihren Namen über das Brausen des Sturms.
    Hilde hielt Alexas Kind fest umklammert.
    »Gib mir mein Kind zurück!« Alexa packte Hildes Arm, schüttelte sie.
    Hilde merkte es nicht einmal. Ich habe mein Kind wiedergefunden, dachte sie. Ich habe meine Sabine wiedergefunden.
    Matthias Wiegand nahm Alexa zur Seite. »Laß sie«, sagte er, »es ist der Schock. Laß ihr das Kind.«
    Immer noch schoß vom Land aus die russische Artillerie, immer noch stießen die roten Jagdbomber auf die ›Schill‹ und die beiden anderen Schiffe herunter, griffen die deutschen Schnellboote an, die den Flüchtenden Geleitschutz zu geben versuchten.
    Hoch gischtete die See unter den Einschlägen der Bomben und Granaten. Wild heulte der Sturm, wütend bellte die Flak. Die Männer fluchten, die Kinder weinten, die Frauen beteten.
    »Schlaf, mein Kind, schlaf«, murmelte Hilde und wiegte Renate im Arm.
    »Schau sie dir an«, sagte Wiegand zu Alexa, »sie ist wirklich im Glauben, es sei ihr eigenes Kind.«
    »Aber – es ist meins, mein Kind!« begehrte Alexa auf.
    Wiegand packte ihre Schulter mit hartem Griff.
    »Hör mir gut zu«, sagte er, »das ist eine Fügung des Schicksals!«
    »Was meinst du?«
    »Willst du wirklich mit Renate nach Hause kommen? In die Heimat, zu deinen Eltern – oder gar zu deinen Schwiegereltern?«
    Angst flackerte in Alexas Augen auf. »Wie? Nein! Ich weiß nicht«, stammelte sie. Und dann: »Aber ich kann doch mein Kind nicht hergeben, mein eigenes Kind!«
    »Denk an die Schande!« sagte Wiegand.
    »Wie kannst du so herzlos sein!« schrie Alexa ihn an.
    Seine Stimme wurde sanft, begütigend: »Alexa! Es ist doch nur für die erste Zeit! Schau, wir müssen uns doch drüben zuerst einmal zurechtfinden. Wenn dein Mann nicht zurückkommt …« Er wich ihren Augen aus.
    »Was ist dann?« flüsterte Alexa. »Wirst du dann bei mir bleiben? Wird dann alles gut?«
    »Genau das meine ich«, sagte er. »Laß Hilde vorläufig das Kind. Später können wir es zurückholen.«
    Alexa begann zu weinen.
    Mit zusammengebissenen Zähnen starrte er über ihren Kopf hinweg zum Vorschiff, wo Hilde stand, die kleine Renate im Arm, mit einem Lächeln auf dem vor kurzem noch vor Entsetzen leeren Gesicht.
    Um sie herum begannen die Menschen wieder zu schreien. Schwarzen Raubvögeln gleich stießen russische Bomber auf die ›Schill‹. Die Menschen warfen sich auf das gischtübersprühte Deck. Wiegand riß Alexa mit zu Boden.
    Wenn sie uns doch treffen würden, dachte er verzweifelt, dann wäre alles vorbei. Dann wäre alles gut.
    Und Hilde vorne auf dem Vorderschiff der ›Schill‹ dachte: Es ist mein Kind. Mein Kind! Und niemand wird es mir wegnehmen.
    Drei Wochen nach Hildes Entlassung aus dem Krankenhaus ergriff Richard die Gelegenheit einer gemütlichen Abendstunde vor dem Kamin im großen Salon, um seine Frau noch einmal vorsichtig auf den Unfall und die merkwürdige Szene in der Gastwirtschaft anzusprechen.
    Sie erklärte mit Bestimmtheit: »Ich habe dir schon einmal gesagt, daß ich im Fieber phantasiert haben muß. Mit Sabine ist überhaupt nichts. Sie ist ein liebes, nettes, gesundes, anständiges, kluges Mädchen – sie ist eben unsere Tochter. Wir haben uns mit der Erziehung Mühe gegeben, und das ist nicht ohne Erfolg geblieben. Was soll also mit ihr sein? Wenn ich dummes Zeug geredet habe – nun, ich hatte schließlich keine leichte Schädelverletzung.«
    Richard lachte erlöst. Er beugte sich über Hilde und küßte sie auf die Stirn. Er streichelte zärtlich das weiche Flaumhaar, das seit der Operation nachgewachsen war.
    »Ich glaube dir«, sagte er.
    Wenige Tage später führte ein Zufall ihn am späten Nachmittag in ein stilles Café in einer Seitengasse der Brienner Straße. Er kam von einer geschäftlichen Besprechung und wollte nur schnell eine Tasse Mokka trinken.
    An einem Tisch in einer Nische im Hintergrund des Cafés saß Hilde – im Gespräch mit Professor Wiegand.
    Im gleichen Augenblick wußte Richard, daß seine Frau ihn belogen hatte.
    Hilde hatte Richard bei seinem Eintritt in das Café nicht bemerkt, so eifrig war sie in die Unterhaltung mit Professor Wiegand vertieft.
    »Gnädige Frau, Sie können

Weitere Kostenlose Bücher