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Das dritte Leben

Das dritte Leben

Titel: Das dritte Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Cordes
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Oberlippe. Süß sah sie aus. Wie ein Häschen. Vielleicht, wenn es ihm gelang, in die Küche zu kommen?
    »Ich hab 'n Einschreiben, Expreß.«
    »Geben Sie her.«
    »Nu mal langsam, Frollein. So is det nu nich, wa? Ick muß det abjeben bei die jnädige Frau.«
    »Ist nicht zu sprechen.« Schnippisch das Biest.
    »Dann jeht er zurück.«
    »Ich kann die gnädige Frau nicht stören.«
    »Nu hör mal jut zu, Mieze! Ick muß det Ding höchstpersönlich abjeben, verstehste? Un nu hol mal deine jnädige Frau.«
    Er drängelte sich durch, stand in einer kleinen Diele, die durch eine Seidenportiere von einer großen riesigen Kaminhalle getrennt war.
    »Los, kommen Sie schon hier rein«, sagte das Mädchen.
    Ein Gang, um die Ecke, in die Küche.
    Tisch voll mit allem möglichen Geschirr. Dreckig. Abgefressen. Ausgetrunken. Noch ein Tisch. Voll mit weiß der Teufel was, von geräucherten Forellen bis zur Hühnerbrust in Aspik. Und Sekt, ganze Batterien von Sekt überall auf dem Boden.
    »Woll'n Se 'n Schluck?« fragte das Mädchen. Sie war blond, hatte runde braune Augen.
    Er wollte. Sie goß ihm ein, er trank.
    »Ich geh' die gnädige Frau holen«, sagte sie. »Aber es gibt bestimmt Ärger!«
    Der Postbote grinste. Strammer Hintern, dachte er, als sie zur Tür hinausging.
    9
    Klara, das Mädchen, drängelte sich zwischen den Gästen in Smoking und Abendkleid zum Kamin vor, an dem Alexa saß und hofhielt.
    Sechs junge Männer saßen um sie herum, Männer Ende der Zwanzig, Anfang der Dreißig. Und sie, die Vierzigjährige, war der strahlende Mittelpunkt.
    Sie trug ein schneeweißes Empirekleid mit einem großzügigen Dekollete, das ihre gebräunten Schultern und den Ansatz ihrer festen Brüste den Blicken der jungen Männer preisgab. Sie hatte den plissierten Rock des Kleides um sich gebreitet, als sitze sie auf einer weißen Woge.
    Der Flammenschein des Kamins verlieht ihrem schwarzen Haar rotschimmernden Glanz. Ihre honigfarbenen Augen, riesengroß, die Haut darum fest und straff, flirteten von einem jungen Gesicht zum anderen. Lächelnd, fragend, ein wenig spöttisch, wieder kindlich naiv, dann fraulich kokett.
    Das Mädchen blieb hinter den Smokingrücken der jungen Männer stehen. Sie winkte Alexa zu. Alexa übersah es.
    »Gnädige Frau!«
    Ungeduld zuckte über das schöne Gesicht. »Was ist denn, Klara?«
    »Post. Ein Einschreiben für Sie.«
    »Jetzt?« Alexa hob die Augenbrauen. »Der Bote soll morgen wiederkommen.«
    »Nun verschwinden Sie schon«, zischte einer der Jünglinge Klara zu. Das hätte er nicht tun sollen, denn nun war Klara entschlossen, ihren Auftritt auszukosten.
    »Sie müssen aber kommen, hat der Bote gesagt. Sonst geht der Brief zurück.«
    Alexas elfenbeinfarbene Wangen röteten sich. Sie erhob sich. »Sie entschuldigen mich«, sagte sie zu den jungen Männern. Und im Gehen, halblaut zu Klara: »Wir beide sprechen uns noch!«
    Sie glitt an ihrem Mann vorbei. Er stand bei den jungen Tänzerinnen vom Ballett. Die dummen Dinger. Neidvoll starrten sie Alexa an.
    Reinhard sah fabelhaft aus, wie immer. Der neue hellgraue Seidensmoking stand ihm gut.
    Sie küßte ihn auf die Wange. »Bin gleich wieder zurück, Liebling.«
    Schau für die beiden Ballettratten. Eifersucht. Sie sah es in den Augen der beiden Mädchen – still lächelte sie vor sich hin.
    In der Küche der Postbote. Trank Sekt.
    »Prost«, sagte sie trocken.
    Er bekam einen roten Kopf, starrte Alexa mit Augen an, die fast aus den Höhlen fielen.
    »Ich habe … Sie müssen entschuldigen, gnädige Frau … Ein Einschreiben, ganz persönlich … Expreß. Tut mir wirklich leid.«
    Klara grinste frech.
    Alexa nahm den Brief, unterkritzelte die Empfangsbestätigung, hieß Klara dem Boten zehn Mark zu geben.
    »Bitte. Und ein frohes neues Jahr.«
    »Sehr zum Dank, gnädige Frau, und wünsche noch viel Spaß.«
    Klara drängte ihn zur Tür hinaus.
    Alexa legte den Brief auf den Küchentisch. Lächerlich, sie um diese Zeit zu stören. Da erkannte sie die Handschrift: die Schrift von Jakob Irmens.
    Onkel Jakob? Verwundert nahm sie den Brief an sich. Sie ging durch den langen Flur in den anderen Trakt des Hauses. Knipste in ihrem Salon die Stehlampe an. Setzte sich in den Louis-XV-Sessel, riß den Umschlag auf.
    Sie begann zu lesen. Der Atem stockte ihr. Angst schnürte ihre Kehle mit würgendem Griff zu.
    Im gleichen Augenblick hörte sie draußen im Gang die vertrauten Schritte ihres Mannes.
    Alexa saß wie gelähmt. Ihre Hände hielten den

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