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Das dritte Leben

Das dritte Leben

Titel: Das dritte Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Cordes
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still!« Renate war plötzlich zornig. »Dummheiten! Was kann ich denn schon tun!« Sie begann zu schluchzen. Sie wußte nicht einmal, was sie tun wollte. Sie wußte nur – sie mußte nach Berlin. Sie mußte zu Alexa.
    Scheinwerfer, gleißend, direkt vor ihren Augen.
    »Verdammter Idiot!« rief Hallig. Bremste. Glattes Stück unter hohen Fichten. Der andere Wagen schnitt die Kurve, war direkt vor ihnen. Renate faßte im Reflex nach dem Griff der Wagentür.
    Rutschen schräg gegen die Straße. Bremsen. Schlingern. Der andere längst vorbei, längst weg, rote Lichter um die Kurve.
    Hallig brachte den Wagen nach rechts, sicher, glatt, aber seine Hand mit der Zigarette zitterte. »So 'n Schuft«, murmelte er.
    Weiter. Schwarze Giganten rechts und links. Fünfzigjährige Föhren. Dann braches Feld. Flach, weit, unendlich. Treibender Schnee.
    Nimmt die Nacht kein Ende? Und dabei war es erst zehn Uhr.
    »Noch zwölf Kilometer bis Hannover«, sagte Hallig. »Dann packen wir die Autobahn, und dann geht's ab wie die Post nach Berlin!«
    Fünf Minuten später begann der Motor zu stottern. Hallig runzelte die Stirn. Vor ihnen eine Anhöhe, Straße einsam wie immer. Schnee. Nacht. Und der Wagen stand.
    Hallig sprang fluchend raus. Lief zur Kühlerhaube, öffnete sie. Hielt die Taschenlampe rein. Es stank.
    Er hätte brüllen können vor Wut und Enttäuschung: ein Riß im Motorgehäuse. »Um Himmels willen«, murmelte er. Langsam schloß er die Kühlerhaube. Ging um den Wagen herum, setzte sich wieder neben Renate, schloß die Tür. Schaltete auf Abblendlicht.
    »Was ist los?« fragte Renate.
    »Der Motor ist im Eimer.«
    Sie erwiderte nichts.
    »Es tut mir leid«, sagte er. »Ich werde einen Wagen anhalten und Sie per Anhalter nach Hannover … Ich fahre natürlich mit. Und dann müssen Sie den Zug nehmen … Es tut mir so leid.«
    Renate räusperte sich. »So eilig habe ich es nun wieder nicht«, sagte sie. »Halten Sie einen Wagen an, der Sie abschleppen kann. Aber ich bleibe bei Ihnen, bis Ihre Kiste repariert ist. Und dann fahren Sie mich nach Berlin, wie Sie es versprochen haben.«
    Es war einen Moment lang still im Wagen. Dann nahm Hellmut Hallig Renates Hand. Sie entzog sie ihm nicht.
    »Danke«, sagte er mit heiserer Stimme. »Das ist ganz prima von dir, Renate.«
    Die Stadt glänzte und schimmerte wie Juwelen im Licht der Laterne. Wie eine Diamantenkette, gleißend und verheißungsvoll, lag in der Mitte der Kurfürstendamm.
    Heute glänzte und leuchtete alles. Heute waren die Geräusche nicht das ärgerliche Gedröhn des Verkehrs, heute hörte man nur das freundliche glucksende Lachen der großen Stadt. Der alten, ewig jungen Stadt.
    Heute war alles ganz anders. Heute dachte man nicht an drüben, an die dunkle Nacht auf der anderen Seite des Brandenburger Tors; heute dachte man nicht an die Mauer, über der gelegentlich die Leuchtkugeln der Vopos hochgingen; wenn man an drüben dachte, dann an die Verwandten, die Freunde. Die Menschen.
    Berlin feierte Silvester.
    In der Kantallee 34 brannten alle Lichter. Die beiden alten Gasleuchten, die Reinhard Berglund bei einem Trödler erstanden hatte, waren auf Bronzearmen im Garten installiert worden und erhellten den Plattenpfad, der von der Straße zu dem Haus hochführte, das auf einer kleinen Erhebung lag.
    Genau vierundzwanzig Wagen parkten vor dem Haus. Der kleinste davon war ein Mustang mit einer 5-Liter-Maschine.
    Das Lachen der Gäste, das Dröhnen einer extra für den Abend gemieteten Drei-Mann-Kombo junger Leute, das Klirren von Gläsern und das Knallen von Sektkorken drang nach draußen.
    Aber das kümmerte niemanden, denn überall in den Villen der Kantallee wurde gefeiert.
    Der Eilbote stieg von seinem Motorroller, lehnte ihn gegen eine der alten Ulmen, welche die Kantallee säumen, klopfte sich den Schnee von der Uniform und ging zum Gartentor hinüber. Es stand weit offen. Über den Plattenpfad schritt er auf das Haus zu.
    Haben die es gut, dachte er. So 'n Haus und so 'n Geld und feiern alle Tage – bestimmt nicht nur Silvester. Und ich hab' auch noch Dienst.
    Na ja. Er drückte den Daumen fast heftig auf die Klingel der Glastür, hinter deren verschnörkeltem Schmiedeeisen er wabernde Schemen sah.
    Nichts rührte sich.
    Er drückte noch einmal auf die Klingel, hielt den Daumen drauf, bis die Tür mit einem Schwung aufgerissen wurde.
    Ein Mädchen im schwarzen weißgeschürzten Servierdress. »Ja – bitte?«
    Ungeduldig. Schweiß stand ihr auf der kurzen

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