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Das dritte Ohr

Das dritte Ohr

Titel: Das dritte Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Curt Siodmak
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gehindert werden konnte. Ideen werden nur selten von einem einzigen menschlichen Hirn geschaffen; viele kommen zu den gleichen Schlußfolgerungen. Die Wissenschaft bewegt sich auf einer von unerklimmbaren Mauern gesäumten Einbahnstraße, so daß ihre Vertreter vorwärts gezwungen werden. Die Wissenschaft besitzt kein Gewissen – eine menschliche Empfindung – sie ist unabhängig von der Entscheidung des Menschen, fortzufahren oder aufzugeben.
     
    Ich vermeinte, eine jähe Unsicherheit in Astrids Augen wahrzunehmen, während sie mich beobachtete und meine Gedanken zu erraten versuchte.
    „Bleiben Sie in meiner Nähe“, sagte ich. „Dann werden Sie dahinter kommen, wenn Sie die nötige Geduld haben.“
    „Ich werde nicht von Ihrer Seite weichen“, sagte sie, als wäre sie durch mein Zugeständnis gerührt.
    Sie knöpfte ihren Mantel zu, stand auf und trank den letzten Tropfen aus ihrem Glas. „Erlauben Sie mir, mit Ihnen zusammenzuarbeiten?“
    „Aber natürlich“, sagte ich. „Allein könnte ich es nie schaffen. Hata schuf sechshundertsechs verschiedene organische Arsenverbindungen für Ehrlich, ehe dieser die richtige Zusammensetzung des Salvarsan fand. Höchstwahrscheinlich benötigen wir mehr als sechshundertsechs Kombinationen, um zu entdecken, welche Wechselwirkung zwischen Aminen und Hormonhaushalt gewisse Stimmungen hervorruft. Zumindest können Sie mir helfen, die Computerkarten für die Simulierung metabolischer Wechselwirkungen zu lochen.“
    „Phantastisch!“ rief sie. „Sie haben in der Klinik einen Machine-Bull Analogcomputer aus Frankreich. Bauer hat ihn eigens für Sie gemietet. Er konnte keinen IBM 3600 bekommen – war zu teuer.“
    „Na, dann können Sie mir statt dessen an den Schalttafel helfen.“
    Ich ging zur Tür und nahm Mantel und Hut.
    „Machen Sie sich keine Umstände“, sagte sie. „Bis zum Auto sind es nur ein paar Schritte.“
    „Es ist jetzt aber stockdunkel.“
    „Einer Frau droht hier keine Gefahr, nicht einmal Nachts.“ Erst da fühlte ich, wie die Müdigkeit meinen Verstand überflutete.
    „Ich hole Sie morgen früh um acht ab“, sagte sie und strich ihr Haar wieder über das linke Auge, als könnte sie, indem sie ihr Gesicht bedeckte, ihre Gedanken verbergen.
    Sie blieb in der Tür stehen und machte eine leichte Bewegung, als erwartete sie, geküßt zu werden – vielleicht um unsere Beziehung zu untermauern. Ich wich einen Fußbreit zurück.
    „Gute Nacht“, sagte sie mit gekünstelter Fröhlichkeit. Ihre Schritte verklangen in der Nacht, die ihre Silhouette verschluckte. „Schlafen Sie gut“, rief sie schon unsichtbar.
     

7
     
    Um sieben Uhr morgens klingelte es an der Haustür. War Astrid schon so früh gekommen? Um mich aus dem Bett zu holen, mir Frühstück zu machen, mich zur Klinik zu bringen? Da ich nicht an weibliche Fürsorge und Hände und Gehirne gewöhnt war, regte sich in mir heftiger Groll über diesen Eingriff in mein Privatleben.
    Vor der Tür stand ein Mann. Er trug einen bis zum Hals hochgeknöpften Mantel und einen schwarzen schmalrandigen Hut. Sein Gesicht war rot.
    „Dr. Bolt?“ Er zückte einen halb in seiner Hand versteckten Ausweis.
    „Könnte ich Sie bitte einen Augenblick sprechen?“
    Ich war im Morgenrock und Pyjama und fühlte mich so, als wäre ich von einem mitternächtlichen Klopfen geweckt worden. Der Computer in meinem Kopf ließ eine kaleidoskopartige Folge von Bildern ablaufen: Konzentrationslager, Erschießungskommandos, Reitstiefel, ausgemergelte Körper, Gasöfen … die stereotypen Bilder, die man mit den Nazis in Verbindung bringt. Ich war überzeugt davon, daß er das Haus hatte umzingeln lassen.
    „Verzeihen Sie, daß ich so früh zu Ihnen komme“, sagte der Mann, als ich ihn hereinließ. „Aber ich wollte Sie sprechen, ehe Sie nach Ottendorf fahren.“
    Ich bat ihn, im Wohnzimmer Platz zu nehmen und entschuldigte mich. Ich ging in die Küche, zündete das Gas an und stellte einen Kessel auf die Flamme. Gedanken flackerten mir durch den Sinn. Ich besaß doch keine Informationen über die Flugzeugentführung. Er besuchte aber vielleicht in seiner offiziellen Funktion die Passagiere rein routinemäßig.
    Als ich zurückkam, stand er immer noch bei der Tür und wartete auf mich.
    „Franz Gobel“, stellte er sich vor. „Ich untersuche die Flugzeugentführung, deren Zeuge Sie waren.“
    Also doch.
    „Ich kann Ihnen nicht mehr darüber sagen, als die Stewardess oder Ihr Agent Langhans, der im Flugzeug

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