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Das dritte Ohr

Das dritte Ohr

Titel: Das dritte Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Curt Siodmak
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Jahrzehnten beendeten Krieges litt.
    „Einige, vor allem unter jüdischen Patienten. Es spielt keine große Rolle, ob sie in einem Konzentrationslager waren oder nicht. Erst gestern noch habe ich mit einer geistesgestörten Frau gesprochen. Sie war während des Krieges in England und kehrte erst vor ein paar Monaten zurück, um Geld zu bekommen, das die Entschädigungsbehörde ihr nicht bewilligen will. Wie konnte sie nach fast dreißig Jahren noch Ansprüche darauf geltend machen? Meiner Meinung nach ist ihr Verstand ernsthaft zerrüttet. Sie hält sich in dem Glauben am Leben, daß die Verfolgung ihrer Familie und ihre Trennung von ihr eine Prüfung Gottes war. Nachdem sie von dem Geld erfahren hatte, das sie hätte erhalten können, meint sie es mit gutem Recht beanspruchen zu können. Jene Verfolgung hat sie, obwohl sie die ganze Zeit in England war, geistig auf Lebenszeit verkrüppelt. Sie hat eine unheilbare Wunde davongetragen.“
    „Paßt der Fall in Ihre These? Sie war in England nicht gesellschaftlich isoliert.“
    „Natürlich war sie das. Es gibt einen Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Isolierung und psychologischer Gesundheit, den ich quantitativ zu definieren versuche.“
    Ihr Gesicht sah bedrückt aus, als sie vor sich hin starrte. Ich konnte sehen, das wesentlich mehr hinter jener Fassade eines heiteren jungen Mädchens steckte, das seinen Lebensunterhalt als weiblicher „Freitag“ von Heinemann, dem Biochemiker, verdiente.
    „Sie scheinen sich selbst absichtlich gesellschaftlich zu isolieren“, diagnostizierte sie, ohne mich anzuschauen.
    „Was, nach Ihrer Theorie, mich geistig beeinträchtigen müßte“, sagte ich belustigt.
    Sie antwortete nicht direkt. „Es gibt viele Laienbücher über dieses Problem. Die einsame Menge von Riesmann; Josephons Der einsame Mensch und Machas Das Problem des einsamen Menschen in der modernen Industriegesellschaft .“ Sie schaltete das Tonbandgerät an, und erneut hörte ich ihre Stimme mit dem leicht singenden schwedischen Akzent: „Da das Tempo des Arbeitstages zunimmt, ändert sich der Tagesrhythmus. Radio, Telefon, Fernsehen, Zeitungen, die große Menge geistiger Reize, denen der Mensch nicht entrinnen kann, erschweren es ihm immer mehr, diese Umwelt in sich aufzunehmen und sie zu begreifen. Paradoxerweise muß der Mensch sich durch eben dieses Übermaß an Information, die er sich ohne innere Beteiligung anhört oder ansieht, innerlich isolieren. Die durch diese Reizüberflutung verursachte Einsamkeit macht ihn heimatlos, denn keine Stimme redet mit ihm – vielmehr reden alle Stimmen auf ihn ein . Diese gesellschaftliche Isolierung ist einer Ausschaltung der Sinnesreize verwandt, da die geistige Gesundheit ohne Wurzeln, ohne äußeren menschlichen Kontakt und menschliche Kommunikation nicht bewahrt werden kann. Nachdem er die häusliche Geborgenheit verloren hat, versucht der Halbwüchsige Sicherheit in einer Bande zu finden oder durch einen anerkannten Besitz, wie etwa dem eines Autos. Das Urteil von Seinesgleichen wird vorrangig. Nur wenig bindet ihn noch an eine Gesellschaft, die ihm fremd ist, und weil sie ihm fremd ist, hat der Halbwüchsige das Gefühl, daß ihm keine andere Wahl bleibt, als sich selbst von ihr zu isolieren.“
    Sie schaltete das Tonbandgerät aus. „Es muß noch redigiert werden“, sagte sie, und die neckische Komponente kehrte in ihre Stimme zurück, „aber pflichten Sie meinen Beobachtungen nicht bei?“
    „Sie scheinen über sich selbst zu reden, daß Sie Schweden verlassen haben und sich jetzt in Deutschland herumtreiben, per Anhalter ins Ausland reisen und diesen Wagen fahren, der Ihr eigentliches Zuhause zu sein scheint, da Ihre Freundin Sie oft aus Ihrer gemeinsamen Wohnung vertreibt.“
    „Das mag sein“, sagte sie nüchtern, „aber es ist mir nicht aufgegangen.“
    Sie warf mir einen schnellen, forschenden Blick zu. „Vielleicht gibt mir meine These die Antwort darauf. Vielleicht muß ich mich verlieben, falls das eine Lösung ist.“
    „Ich versuche allein zu sein, aber es wird mir nicht gestattet“ sagte ich, um einer vertraulichen Diskussion über ihre Gemütsverfassung auszuweichen. „Vor einigen Minuten war ein Polizeibeamter bei mir, um mich über die Flugzeugentführung zu verhören. Darum habe ich mich verspätet. Wissen Sie, der Große Bruder beobachtet einen unentwegt.“
    „Diese Beobachtung macht einen vielleicht noch einsamer. Man wird mißtrauisch und isoliert sich; man wagt es nicht,

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