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Das dritte Ohr

Das dritte Ohr

Titel: Das dritte Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Curt Siodmak
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dem Tisch, an dem Willy von jungen beweglichen Schultern, langen, herabflutenden Haaren und aufgeregten Gesichtern umringt wurde, die alle gleichzeitig redeten. Willy hatte den Arm um die Fuchsrote gelegt. Der Kellner brachte eine Flasche Wein und zeigte Astrid das Etikett. Sie nickte ohne hinzuschauen. Er schenkte ein, und wir warteten bis er gegangen war.
    „Warum sollte jemand das Flugzeug entführen wollen?“ Sie hob ihr Glas und betrachtete mich durch die Flüssigkeit aus grotesk verzerrten Augen.
    „Sie haben doch gehört, was Langhans gesagt hat. Sie wollten irgend jemanden an Bord des Flugzeugs kidnappen und in den Osten entfuhren.“
    „Hatten sie es auf Sie abgesehen?“ fragte sie, leerte rasch ihr Glas und hielt es mir zum Nachfüllen hin.
    „Warum auf mich?“ fragte ich, schockiert darüber, daß sie an meine innerste Frage gerührt hatte.
    „Ach, nur so eine Idee. Sie würden es Deduktion nennen: ich nenne es weibliche Intuition. Aber die Tatsache steht fest: Sie besitzen offensichtlich Informationen, die irgendwer dringend benötigt.“
    Ich entgegnete nichts. Ich sehnte mich danach allein zu sein, um die Ereignisse der Reihe nach zu überdenken und möglichst ein Schema zu entdecken.
    Ein Mikrofon in Heinemanns Haus – Langhans, wenn er wirklich so hieß, der mir nachspürte – ein kleines Auto, das mich verfolgte – war das die Einsamkeit, die ich erhofft hatte?
    Das Lokal füllte sich jetzt mit Gästen. Wir sprachen nicht mehr, sondern beendeten unser Essen und gingen, ohne von Langhans und seinem lärmenden Harem bemerkt zu werden.
     

6
     
    Der Mond tauchte die Flußufer der Elbe in dickes Silber; brennendes Gas aus einem Turm am anderen Ufer fraß sich in den Himmel. In den Trockendocks waren dunkle Schatten an der Arbeit – Schweißgeräte sprühten Funkenregen auf die Stahlplatten von Ozeandampfern und Tankern.
    Astrid ging mit federnden, langen Schritten neben mir her. „Ich werde Sie zu Ihrem Wagen bringen“, sagte ich, als wir uns dem Haus näherten.
    „Müde?“ fragte sie.
    „Der Zeitunterschied hat mich nur etwas durcheinandergebracht. Schließlich bin ich schon vierundzwanzig Stunden auf.“
    Dieser höfliche Fingerzeig, daß ich sie lieber los wäre, blieb ohne Wirkung. Sie schaute auf ihre Armbanduhr, wobei sie das Handgelenk hob, um den Lichtschein einer Straßenlaterne zu erhaschen.
    „Noch eine halbe Stunde“, sagte sie und lud sich selbst in mein Haus ein. „Dann muß Helga das Feld räumen.“
    „Na schön, kommen Sie herein“, sagte ich gezwungenermaßen.
    „Es ist mir peinlich.“ Sie entschuldigte sich matt. „Ich weiß zwar, daß ich Sie allein lassen sollte, aber ich hasse es, im Wagen zu sitzen und vor der Tür darauf zu warten, das Helgas Beau das Liebesnest verläßt. Man hat wirklich darunter zu leiden, wenn man die Wohnung mit einem sexbessenen Mädchen teilt.“
    Ich öffnete die Tür und knipste das Licht an. Dem Haus entströmte abgestandene Kühle, als wir eintraten.
    „Was treiben Sie, wenn Sie die Wohnung für sich haben?“
    Ich versuchte Konversation zu machen, um meine Ungeduld zu verbergen. Und falls doch jemand unsere Unterhaltung belauschte, würde er nicht auf seine Kosten kommen.
    Sie lachte und drückte auf einen elektrischen Knopf, der die Heizung anschaltete.
    „Nicht das, was Sie denken. Ich habe keinen Freund. Ich habe einfach keine Zeit für Männer – außer, natürlich, um sie vom Flughafen abzuholen. Jemand nannte mich einmal die bestangezogene Lesbierin, die er je getroffen habe. Aber das bin ich nicht. Wenn es so wäre, würden Sie das doch merken, oder nicht?“
    Sie warf mir einen flirtenden Blick zu, behielt ihren Mantel an, löste aber ihr Haar, das sehr fraulich über ihre Schultern fiel. „Ich hasse es, mein Haar hochzubinden. Alles, was die Freiheit behindert …“ Sie beendete diesen Satz nicht, sondern sprudelte hervor: „Es ist noch Steinhäger in der Küche.“
    „Ich trinke nicht nach dem Abendessen, aber Sie können sich ruhig bedienen.“
    Sie ging in die Küche und kam mit der Flasche und zwei Gläsern zurück, die sie beide füllte, als hätte sie meine Ablehnung nicht gehört.
    „Dr. Bauer von der Klinik hat ein Extraregal für Ihre Veröffentlichungen. Er wartet auf Sie, wie auf einen neuen Messias.“
    „Ich habe Kalifornien verlassen, weil ich das Gefühl hatte, von Leuten erstickt zu werden, deren Hauptbeschäftigung darin bestand, mein Tun und Lassen zu beobachten und möglichst die

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