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Das dritte Ohr

Das dritte Ohr

Titel: Das dritte Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Curt Siodmak
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Gefühle wie Freundschaft oder Liebe zu empfinden“, sagte sie.
    „Nehmen Sie das auf Band auf. Das ist genau der Punkt!“
    „Wenn Sie wirklich allein sein wollen – die Klinik hat eine Isolierzelle. Aber lassen Sie sich nicht an den Monitor anschließen, sonst nehmen die Ihre Stimme auf, wenn Sie im Schlaf reden. Die Idee eines Absonderungsraumes ist schon Tausende von Jahren alt – die Einsiedler aus der Bibel zogen sich in Höhlen zurück, wo Gott zu ihnen sprach. Ich habe gelesen, daß die Kartäuser sich einmauern ließen, um die Verbindung mit himmlischen Mächten herzustellen.“
    „Diese Einsiedler litten vielleicht schon an Psychosen und Halluzinationen, ehe sie sich in die Höhlen zurückzogen.“ Ich hatte den Eindruck, zu einer Studentin zu sprechen, die durch den Altersunterschied zwischen uns väterliche Gefühle in mir erweckte. „Sehen Sie, das Problem wird noch durch den Einfluß der Suggestion kompliziert. Tests haben gezeigt, daß die Ausschaltung von Sinnesreizen sich – etwa in Form von Halluzinationen – binnen einiger Stunden, ja sogar Minuten auswirkt, vielleicht aber auch tagelang überhaupt nicht; es kommt nur darauf an, was der Experimentator der Testperson über die erwarteten Auswirkungen und Erfahrungen sagt. Die Suggestionen sind natürlich nicht offenkundig, sondern nur geringfügige Beeinflussungen wie etwa durch die Tonlage der Stimme, das Maß der Anteilnahme, die Gesichtsausdrücke des Experimentators. Auf diese Art vollzieht sich die Kommunikation zwischen Dresseuren und Tieren, und zwischen Tieren und Menschen. Ich fürchte, daß Ausschaltung der Sinnesreize noch längst nicht alles sagt.“
    Ich beobachtete, daß sie das Tonbandgerät anschaltete, hielt sie aber nicht davon ab, und sie machte sofort eine Bemerkung darüber. „Ich nehme die tiefgründigen Beobachtungen anderer Leute auf und verwende sie bei meiner Doktorarbeit, als hätte ich sie selbst formuliert. Die Schweden sind schlau, was?“
    „Ich kann am besten in einer Isolierzelle denken“, sagte ich, und sie warf mir einen schnellen Blick zu, als hätte sie mich bei einem Widerspruch ertappt. Ich fügte hinzu: „Man kann dort besser und geordneter denken, wenn man allmählich all jene äußeren Reize ausschließt, die unseren Verstand ablenken.“
    Astrid konzentrierte sich auf den Verkehr, der nach geheimnisvollen Gesetzen und ohne sichtbar ordnende Kraft, doch ohne Unfälle, verlief.
    „Haben Sie schon einmal eine Zeitlang in einer Isolierzelle verbracht?“ fragte ich.
    „Um Himmels willen, nein. Ich hasse es, eingesperrt zu sein, schon allein der Gedanke daran lähmt mich vor Angst.“
    Wir fuhren eine niedrige Backsteinmauer entlang, die sich über einen Kilometer hinzuziehen schien und bogen dann an einer Portierloge vorbei, in einen Komplex niedriger, alter Holzbaracken ein. Im Hintergrund erhob sich ein moderner, fünfstöckiger Backsteinbau mit blumengeschmückten Balkonen, das Hauptgebäude der Klinik.
    Astrid hielt vor dem angenehm wirkenden Gebäude, schlug die Tür des Volvos zu und ging mir voran durch eine große Tür. Wir gelangten in einen breiten Korridor, in dem ein blasser Mann mich aus einer Glaszelle mißtrauisch musterte. Sie grüßte ihn im Vorbeigehen, aber er erwiderte ihren Gruß nicht.
    „Ein Patient“, sagte sie zu mir. „Paranoider Verfolgungswahn. Der ideale Wachhund. Er bleibt einem auf der Fährte.“
    Ich sah, wie er hastig den Hörer packte, und ohne mich aus den Augen zu lassen, rasch in die Muschel sprach.
    Ein Aufzug beförderte uns zum fünften Stock.
    „Ich bringe Sie zu Professor Bauers Büro. Martin am Empfangspult hat Sie bereits angekündigt. Bauer ist fast achtzig und gleicht einem ausgestopften Adler, einem Wappentier dieser Institution. Er tritt bald in den Ruhestand. Joseph möchte Chef der Klinik werden, auch Wilhelm, Bauers rechte Hand. Im Mittelalter pflegten Thronfolger sich gegenseitig umzubringen. Ich bin überzeugt davon, daß wir ein großes Blutbad mitmachen würden, wenn wir im 15. Jahrhundert lebten.“ Astrids dunkle Augen funkelten boshaft.
    „Professor Helmuth Bauer“, las ich auf einem kleinen Schild neben der Klingel. Astrid schellte, die Tür öffnete sich, und vor mir stand ein hünenhafter Mann. Seine Gesichtszüge – gerötete Backen, durchbohrende blaue Augen – schienen darauf ausgelegt zu sein, ihn wie den typischen deutschen Professor aussehen zu lassen. Er blickte an mir vorbei, über meine Schulter hinweg.
    „Martin!“

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