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Das dritte Ohr

Das dritte Ohr

Titel: Das dritte Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Curt Siodmak
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stehen, indem sie uns über Sterbefalle unterrichten; davon können Sie, wenn Sie wollen, bei Ihren Forschungen selbstverständlich auch Gebrauch machen, solange Sie bei uns sind, Dr. Bolt. Außerdem unterstützt uns die Polizei und meldet uns Selbstmord- und Unfallopfer. Wenn wir schnell genug zum Krankenhaus eilen, gelingt es uns manchmal, ein noch nicht von Enzymen zersetztes Gehirn zu ergattern. Mehr können wir nicht für Sie tun.“
    Bauer lächelte Wilhelm und Magnussen so an, als teilten sie ein gegen mich gerichtetes Geheimnis. „Wenn wir zur Zeit der Französischen Revolution leben würden, hätten wir direkt nach der Enthauptung Zugang zu dem Gehirn. Vielleicht würden wir dann etwas über die quantitative Biochemie des menschlichen Gehirns erfahren. Was können wir heute für einen Paranoiker tun? Nichts, außer Vermutungen anstellen – und falsche Vermutungen, wie Sie gerade gesehen haben, als Martin Ihnen folgte. Er hielt Sie für einen Eindringling, der mich oder Wilhelm bedrohte.“
    „Glauben Sie, daß Geisteskrankheiten nur einem falschen Metabolismus zuzuschreiben sind?“ fragte Nemeth mit starkem Akzent. Ich hatte den Eindruck, als spräche Kubatschew mit mir und versuche meine Gedanken zu ergründen. „Das hängt davon ab, was Sie unter falsch verstehen. Es gibt biochemische Begleitumstände bei Emotionen – denken wir nur an den Einfluß des Catacholaminpegels auf die Aggression oder die Auswirkung von Amygdalläsion auf die Wut –, ich glaube, daß Emotionen und verschiedene Aspekte der Geisteskrankheit unmittelbar in Beziehung zueinander stehen.“
    Ich glaubte, daß ich sie völlig von meinem Ziel abgelenkt hätte. Während ich flüssig dahinredete und allgemeine Ideen erwähnte, die Bauer und Wilhelm natürlich bekannt waren, merkte ich nicht, daß sie dieses wissenschaftliche Gespräch nur weiterführten, um mich in Sicherheit zu wiegen. Leute wie ich, die sich selbst für intelligent halten, fallen nur deshalb immer wieder herein, weil sie keine Menschenkenntnis besitzen. Bauer und Wilhelm ließen mich keinen Einblick in ihre Karten gewähren; meine lagen offen auf dem Tisch. Ich war der Strohmann.
    Nemeth wandte mir sein maskenhaftes Gesicht zu. „Welche Experimente planen Sie hier?“
    „Wie ich Dr. Heinemann schrieb, möchte ich hier meine Studien über Schlafmuster fortsetzen, vor allem die über anomalen Schlaf.“
    „Wie Tiefhypnose?“ fragte Nemeth.
    „Unter anderem“, antwortete ich leichthin. „Ihren veröffentlichten Berichten und meiner Unterhaltung mit Astrid entnehme ich, daß Sie eine außergewöhnlich gut ausgestattete Isolierzelle haben. Dürfte ich sie einmal besichtigen?“
    Ich wollte das Gespräch beenden.
    „Aber selbstverständlich. Dr. Wilhelm wird sie Ihnen zeigen“, sagte Bauer und sah plötzlich so alt aus, wie er tatsächlich war. „Morgen erhalten Sie von uns den Schlüssel zu Dr. Heinemanns Labor. Er war stolz darauf, daß ein so berühmter Mann dort arbeiten wird.“
    Es gibt keine Grenzen der Schmeichelei, gegen die irgendein Mann etwas einzuwenden hat; wie jede Frau erinnert er sich bis ans Ende seiner Tage an jedes Kompliment. Obwohl diese Heldenverehrung seitens eines Mannes, den ich persönlich nie kennengelernt hatte, meinen Verdacht erweckte, machte mich sein übertriebener Respekt blind für die eigentlichen Vorgänge.
    Wir verließen Bauers Büro, Wilhelm an meiner Seite, Nemeth und Magnussen hinter mir. Wilhelm schloß eine Tür auf, die in einen hellerleuchteten Korridor führte. Eine junge Frau mit Schaftstiefeln und Lederhose, als wäre sie gerade Motorrad gefahren, stolzierte an uns vorbei. Sie warf uns einen eindeutigen Blick zu und trat, ihr schulterlanges Haar schüttelnd, in einen der glaswandigen Räume, in dem ein halbes Dutzend Frauen an Nähmaschinen saß.
    „Drogen“, erklärte Wilhelm. „Wenn ich mich nicht irre, ist das in den Vereinigten Staaten eine richtige Seuche. Hier fängt sie auch schon an.“
    „Es ist eine weltweite Epidemie wie die Grippe oder Meningitis nach dem ersten Weltkrieg“ sagte ich. „An dieser Epidemie starben zwanzig Millionen Menschen, mehr als im Krieg umkamen. Die Drogenepidemie wird wohl auch Millionen töten, ehe sie abklingt. Es handelt sich nicht um Einzelfälle – es ist ein allgemeines Phänomen wie die Pest im Mittelalter.“
    „Sehr interessant“, sagte Nemeth. „Eine Abwehrmaßnahme der Natur gegen Überbevölkerung. Drogenabhängige haben weniger Kinder.“
    „Sie haben

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