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Das dritte Ohr

Das dritte Ohr

Titel: Das dritte Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Curt Siodmak
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könnte mit einer Stimmung zusammenhängen, und Stimmungen werden durch neurohumorale Veränderungen hervorgerufen, die von Enzymen ausgelöst werden.“
    Es war mir gelungen, sie zu verwirren.
    „Warum bitten Sie sie dann nicht, ins Labor zu kommen?“ fragte sie folgerichtig.
    „Das will ich tun, wenn sie keine Schwindlerin ist.“
    Wir stiegen aus und folgten einer Straße, die breit wie ein Platz und neonbeleuchtet war.
    „Die Reeperbahn“, sagte Astrid. „ Reep ist das plattdeutsche Wort für ein Tau. Vor hundert Jahren pflegten sie hier Schiffstaue herzustellen, und die Seeleute fanden hier das Vergnügen, das sie auf ihren langen Fahrten entbehrt hatten. Sie wissen schon: Fusel, Weiber und Unterhaltung. Es hat sich seitdem wenig verändert, nur daß es weniger Seeleute und mehr Touristen gibt. Es ist eine Miniaturausgabe Ihres Las Vegas.“
    „Aber nicht so steril“, sagte ich, während ich das rege Treiben der Menge beobachtete, die in Restaurants, Läden, Kinos, Kabaretts und Nachtklubs ein- und ausströmte. Musik schmetterte; die drängende Menge schien ganz versessen darauf, Vergnügen zu suchen. Eine Seitenstraße war aufgerissen und an einer Ecke blockiert, an der sich langhaarige, langbeinige Mädchen und bärtige junge Männer in Gruppen zusammenscharten. Wir kamen an einer Mauer mit der Inschrift vorbei: „Zugang für Jugendliche unter 16 Jahren verboten.“
    „Das Viertel der roten Lampen“, erklärte meine Führerin und nahm hastig meinen Arm. „Möchten Sie hineingehen und sich anschauen, wie die Mädchen aus den Fenstern hängen und ihre Waren zur Schau stellen?“
    „Ich möchte bezweifeln, daß sie etwas anderes zu bieten haben als die in den Vereinigten Staaten.“
    Astrid gab mir recht. „Nur Picasso sah sie anders, mit drei Augen und drei Brüsten.“
    „Na, er macht zumindest unsere Puritaner wett, die abstreiten, daß es Genitalien gibt.“
    Sie ging auf meinen Scherz ein und sagte ungläubig: „Ach, Sie wollen mir etwas vormachen. Kein Mensch hat heute noch solche Ansichten!“
    „Wirklich nicht! Ich habe kürzlich ein populärwissenschaftliches Buch über den menschlichen Körper gesehen, und immer, wenn ein Mann oder Affe gezeigt wurde, waren seine Genitalien bedeckt. Da fragt man sich nur, ob da nicht etwas fehlt.“
    Der Druck ihrer Hand wurde stärker, als sie in Lachen ausbrach.
    Der Straßenlärm, die Musikfetzen aus schillernden Nachtklubs und das Gedränge der Menge trugen dazu bei, in uns eine gelockerte Stimmung hervorzurufen.
    „Mir geht es blendend“, sagte sie. „Wissen Sie, ich hatte schrecklich Ehrfurcht vor Ihnen, aber dieses Gefühl ist verebbt. Ich frage mich, welche Neurohumoralstoffe diese Empfindung bewirkt haben.“
    „Wenn Sie sie absondern, künstlich herstellen und sie sich in genügender Menge einspritzen lassen könnten, würden sie in Ihnen die gleichen Empfindungen zu jeder beliebigen Zeit hervorrufen, wo immer Sie sind, sogar wenn Sie in der Sahara ausgesetzt würden.“
    „Sind Sie hinter dem her – Empfindungen aus dem Reagenzglas?“
    „Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß ich feststellen möchte, was Stimmungen hervorruft, aber meine Methode ist anders als die Wilhelms und Nemeths.“
    „Wie denn?“ sagte sie und schmiegte sich an mich, so daß ich die Kontur ihrer kleinen Brust spüren konnte. „Ein Jammer, daß ich mein Tonbandgerät nicht bei mir haben.“
    „Ein Glück, dann kann ich es Ihnen verraten“, sagte ich. Beim Gehen berührte ihr Schenkel meinen, und ihre Nähe schwächte meine Vorsicht. „Empfindungen lassen sich sogar über große Entfernungen übertragen. Die Russen experimentieren intensiv mit solcher Gefühlsübertragung. Sie nahmen ein Kind und seine Mutter, steckten das Kind in ein Zimmer, brachten die Mutter in ein anderes Stockwerk, so daß sie es nicht hören konnte, und machten dem Kind dann Angst. Natürlich beschleunigte sich sein Kreislauf – aber gleichzeitig verhielt es sich auch bei der Mutter so.“
    „Ist das auf nahe Verwandte beschränkt?“
    „Es funktioniert nur bei Leuten, die aufeinander abgestimmt sind. Sie nahmen auch ein junges Liebespaar; der Bursche blieb in Leningrad, und das Mädchen wurde nach Moskau geschickt. Sie stellten einige Experimente mit dem Burschen an – jagten ihm vermutlich Furcht ein –, und mehrere hundert Kilometer entfernt litt das Mädchen unter tiefer Depression und Angst, so daß sich ihr Kreislauf beschleunigte. Diese Experimente stützen die Ansicht,

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