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Das dritte Ohr

Das dritte Ohr

Titel: Das dritte Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Curt Siodmak
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fünf Mark.“
    Glatte Gleichgültigkeit lag in ihrem Benehmen. Sie verachtete die Leute und ihre Schwächen.
    Ich legte fünf Mark auf den Tisch.
    „Die junge Dame möchte ihre Zukunft erfahren. Aus beiden Händen natürlich.“
    Ihre dunklen Augen richteten sich auf meine wie die eines Psychologen, der die Gemütsverfassung seines Patienten erraten will.
    „Ich denke, Sie sollten sich die Hände lesen lassen“, sagte sie und versuchte auch mich dazu zu bewegen, während sie das Fünfmarkstück einsteckte. „Über Sie könnte ich mehr sagen als über die junge Dame!“
    „Da hören Sie,“ sagte Astrid lächelnd, nicht zufrieden damit, das Versuchskaninchen zu sein. „Lassen Sie mich aus Madame Dolores’ Mund vernehmen, was Sie vor mir verbergen.“
    „Legen Sie einfach die Hände auf den Tisch, die Handflächen nach oben“, sagte Madame Dolores.
    „Ich möchte weder meine Zukunft noch die der jungen Dame vorausgesagt bekommen“, sagte ich. „Könnten wir Sie nicht zu Hause aufsuchen? Selbstverständlich zahle ich dafür erheblich mehr.“
    Die Frau sah mich forschend an. „Ich habe ein Seance-Zimmer in meiner Wohnung, kommen Sie morgen in der Sprechstunde hin. Das Honorar beträgt zehn Mark.“
    Sie ließ mein Gesicht nicht aus den Augen; sie war entschlossen, mit mir ins Geschäft zu kommen.
    „Falls Sie eine vollständige Handlesung haben wollen, so kostet das zwanzig Mark.“ Sie beugte sich vor und sah besorgt aus, weil sie vielleicht zuviel verlangt hatte.
    „Zwanzig Mark!“ rief die knauserige Astrid.
    „Es liegt im Ermessen des Kunden, wieviel ihm meine Dienste wert sind. Viele dankbare Kunden haben noch mehr bezahlt“, sagte Madame Dolores, um Astrid zurechtzuweisen.
    Ihr Leben lang hatte sie mit unberechenbaren Leuten zu tun, Leuten in Not auf der Suche nach Antworten, die ihnen ein Fachkundiger zwar geben konnte, die sie aber lieber von Madame Dolores hörten. Ein Arzt könnte ihnen Angst einjagen, während sie die Ratschläge einer Zigeunerin entweder annehmen oder mit einem Lachen abtun konnten.
    „Zwanzig Mark und keinen Pfennig mehr“, sagte meine tüchtige Feilscherin so, wie sie auch den Kellner behandelt hatte. „Er ist ein Ausländer, und will nicht, daß er geneppt wird.“
    „Meine Ratschläge und Voraussagungen lassen sich nicht nur nach Geld messen“, sagte Madame Dolores von oben herab. Ihre Hand verschwand in den Falten ihres Rockes und förderte eine Visitenkarte zu Tage.
    „Hier ist meine Adresse. Wann wollen Sie kommen?“
    „Heute abend“, sagte ich.
    Ihr Ausdruck wurde sofort mißtrauisch.
    „Ich empfange abends keinen Besuch.“
    „Ihre Intuition sollte besser funktionieren, wenn Sie nicht von fremden Einflüssen gestört werden“, sagte ich. „Wieviel würden Sie heute abend noch verdienen, ehe Sie nach Hause gehen?“
    „Ich weiß nicht“, sagte sie zögernd.
    „Ich gebe Ihnen dreißig Mark“, sagte ich.
    „Ich muß Vorbereitungen treffen.“ Ihre Vorsicht gewann die Oberhand, aber ihre Habgier gestattete es ihr nicht, abzulehnen.
    „Können Sie sich selbst in Trance versetzen?“ fragte ich.
    Sie musterte mich scharf. „Warum fragen Sie das?“
    „Mir wurde gesagt, daß Sie es könnten, so daß ich glaube, daß Sie okkulte Fähigkeiten besitzen“, sagte ich, um ihr zu schmeicheln. „Hier wenden Sie Psychologie an, aber zu Hause sind Sie vielleicht tatsächlich fähig, mit dem Unbekannten in Verbindung zu treten.“
    „Ich kann viel … sehr viel“, murmelte sie, „wenn Sie es sich leisten können, den Preis dafür zu zahlen.“
    Ihre dunklen Augen sandten Strahlen aus, die in mein Gehirn einzudringen versuchten.
    „Komisch, wie stark himmlische Mächte auf Geld reagieren“, sagte Astrid.
    Madame Dolores sah sie unumwunden an.
    „Das tun nicht sie, aber ich! Warum sollte ich mich einer solchen Anstrengung aussetzen? Es ist gefährlich, diese unsichtbaren Mächte heraufzubeschwören.“
    „Wir warten hier auf Sie, bis Sie nach Hause gehen“, sagte ich.
    Sie zog eine alte Taschenuhr aus den Falten ihrer Bluse.
    „In einer halben Stunde bin ich fertig, aber ich hätte das Geld gern im voraus“, sagte sie und hielt die Hand auf. Über ihre Handfläche verliefen tiefe Linien kreuz und quer. Als ich darauf starrte, schloß sie die Hand hastig zur Faust, was ihren festen Glauben an die eigene Kunst offenbarte. Ich legte zehn Mark auf den Tisch, die sie einsteckte, als sie aufstand.
    „Ich warte am Hintereingang beim Spielbudenplatz auf

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