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Das dritte Ohr

Das dritte Ohr

Titel: Das dritte Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Curt Siodmak
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versucht ihren Hund zu mißhandeln.
    Welch banalen Gedanken begegnete ich! Von Zeit zu Zeit stieß ich auf Ausstrahlungen, die mich brutal trafen, auf obszöne Impulse, losgelöst von dem Gesichtsausdruck, der ihm als Maske diente. An der Kreuzung Mönckebergstraße/Bergstraße rempelte mich ein Mann an. Er murmelte eine höfliche Entschuldigung, während sein Geist hervorstieß: Kannst du denn nicht aufpassen, verdammter Lümmel?!
    „Der verdammte Lümmel hat aufgepaßt! Sie haben mich angerempelt“, erwiderte ich laut. Der Mann erstarrte und sperrte den Mund auf. Eine plötzliche Macht stieg in mir auf, eine Allwissenheit, der ich mir erst in diesem Moment bewußt wurde. Als ich weiterging, spürte ich den Blick des Mannes in meinem Nacken.
    Ich fühlte mich beschwingt, allmächtig! Meine Schritte beschleunigten sich, nicht durch meinen Willen, sondern durch die neue Kraft, die ich mit wachsender Neugier registrierte. Ich folgte einem Mann, einer Frau, einem älteren Paar – und holte ihre unausgesprochenen Worte aus ihnen heraus. Ein Jüngling ging neben mir, den Arm um die Taille eines Mädchens gelegt, als wolle er sie an einer Flucht hindern. Sie hatten die Köpfe aneinandergelegt. Ich wußte, wohin sie gingen, es widerspiegelte sich in ihren Hirnen. Ich spürte die Seligkeit der Erwartung, ein Entzücken, in das sich zitternde Erregung mischte. Ihre Gedanken waren verschwommen.
    Ich beneidete sie, denn ich selbst hatte nie diese intensive Vorfreude empfunden. Mein Geist hatte stets meine Handlungen beherrscht. Hatte ich je Gefühlen wirklich nachgegeben?
    Unbeobachtet inmitten dieses Gedränges anonymer Gesichter – ich unterstellte, daß weder Löfflers noch Gobels Männer mich beschatteten – kam ich mir wie ein Falter vor, der aus seinem Kokon geschlüpft war.
    Die Wissenschaft gestattet einem, rein objektiv in jede Phase des menschlichen Daseins einzudringen. War ich aber je ein Mensch gewesen wie diese beiden jungen Leute, die sich aneinander klammerten und ihre Umwelt vergaßen?
    Nein, ich hatte mich wie ein Einsiedler in meiner Arbeit verkrochen, meinen Verstand gehegt und mich auf seine analytischen Fähigkeiten verlassen, um meine eifersüchtig gehütete Isolation zu schützen. Eine meiner Verteidigungsmaßnahmen war krankhaftes Mißtrauen gewesen. Warum hatte ich nie einen Mitarbeiter gehabt, mit dem ich Ideen austauschen und teilen konnte? Warum hatte ich meinen Weg immer allein beschritten?
    Ich hatte nie versucht, mich selbst so zu sehen, wie es andere Menschen taten. Jetzt stand ich zum erstenmal in Verbindung mit dem Denken anderer. Ohne ihr Wissen war ich ein Teil von ihnen. Ich hatte bisher nie auf ein Erlebnis so reagiert wie jetzt – ich ging durch die belebten Straßen und genoß die Gedankenfetzen, die meinen Geist füllten und wieder verließen, wie Luft die Lungen. Ich wußte, daß es kein Spiel war, sondern etwas Welterschütterndes, das, erforscht und richtig angewandt, das Verhalten des Einzelnen zu seinen Mitmenschen grundlegend ändern würde.
    Ich mußte mein Geheimnis zunächst für mich behalten. Bis ich es streng und ohne Emotionen untersucht hatte, blieb mir Zeit zu der Entscheidung, ob ich die Welt an meinem Wissen teilhaben lassen oder 232 in die Dunkelheit zurückstoßen wollte.
     

17
     
    Ich beobachtete die Menschen wie durch einen Spiegel, der mich verbarg, mich für sie unsichtbar machte; es war, als könne mein Geist wie mit Röntgenstrahlen die Schädel anderer durchdringen.
    An der Ecke Mönckebergstraße/Bergstraße ging ich durch einen Tunnel zur Untergrundbahn. Ein Mann folgte mir. Ich hörte, wie er mich mit jener gespenstischen, körperlosen Stimme des Verstandes rief. Aber als ich mich umdrehte, war sein Gesicht ausdruckslos, und er las eine Zeitung, die seine Züge halb verdeckte. Es war wie eine Telefonverbindung, bei der nur der eine Teilnehmer den anderen hören kann, aber nicht umgekehrt. Er war einer von Löfflers Männern.
    In der U-Bahn setzte er sich auf den Platz mir gegenüber, und wir rumpelten in Richtung Landungsbrücken, der Station, die der Övelgönne am nächsten liegt.
    Jede meiner Reaktionen und Empfindungen gehörte zu meiner Erforschung des 232. Ich beobachtete mich sorgfältig, registrierte die Auswirkung dieser Verbindung auf mich. Da ich die Gedanken der Leute lesen konnte, ohne daß sie sich meiner geheimnisvollen Macht bewußt waren, mußte ich mich selbst beherrschen und versuchen, mich nicht zu verraten, indem ich eine

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