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Das dritte Ohr

Das dritte Ohr

Titel: Das dritte Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Curt Siodmak
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das ganze 232 bei mir.
    Wenn ich es verbraucht hätte, bliebe keine greifbare Spur von meinem Versuch übrig. Ich müßte eine neue Menge künstlich herstellen und diese Synthese wäre einfach. Während ich herumlief und die neue Macht erforschte, mit Astrid sprach, mich rasierte und umzog – während all dieser Tätigkeiten arbeitete mein Verstand an einer neuen Methode zur künstlichen Herstellung des 232.
     

18
     
    Niemand wußte etwas von dem 232 – oder doch? Warum hatte man dieses ausgeklügelte Beobachtungsnetz um mich gelegt? Astrid mußte Wilhelm und Nemeth Bescheid gesagt haben, sonst wären sie nicht bei der Isolierzelle gewesen, als ich mit Madame Dolores hinkam. Erstattete sie auch Heinemann Bericht? Weswegen?
    Aber jetzt würden die Geheimnisse dank meiner neuen Macht für mich durchschaubar werden – keiner konnte mehr etwas vor mir verbergen. Während ich an den riesigen Blumenbeeten von ‚Planten un Blomen’ vorbeiging, kam ich mir wie der Ankläger eines komplizierten Prozesses vor, bei dem Lügen von vornherein sinnlos sind, weil er über Informationen verfugt, die der Angeklagte nicht hat. Ich genoß meine Macht über den Geist anderer, ja, ich fühlte mich um zwanzig Jahre jünger.
    Die dünne Nadel des Fernsehturms, mit zwei konzentrischen Plattformen in dreißig Meter Höhe, streckte sich den niedrigen Wolken entgegen. Ich kam an großen Teichen und Tiergehegen vorbei, zahlte zwei Mark, um im Nu zum Fernsehturm-Restaurant befördert zu werden, in dem Astrid auf mich wartete.
    „Vielen Dank, daß Sie diesen Anzug angezogen haben“, sagte sie. Die Pupillen ihrer Augen waren dunkel und vergrößert, als hätte sie Belladonna hineingetröpfelt. Sie hatte die Ränder ihrer Lider mit Mascara stark nachgezogen, was ihrem Gesicht ein toplastiges Aussehen verlieh – riesige Augen beherrschten ihre Gesichtszüge. Sie wirkte knabenhaft mit ihren geraden, knochigen Schultern und den langen Armen, deren Handgelenke steife Manschetten umschlossen. Große spanische Ohrringe baumelten an ihren Ohrläppchen. Während sie mich anschaute, waren ihre Gedanken bei dem Mann, dessen ‚Bild’ sie in meinem Haus zurückgelassen hatte. Sie dachte an seinen Namen – Swen!
    „Ich habe einen Tisch reservieren lassen“, sagte sie und setzte sich, gefolgt von einem Kellner, in Bewegung. Ich wußte, wohin sie ging. Zu einem Tisch mit vier Stühlen. Auf zweien saß ein junges Paar, das keine Zeit für die Aussicht übrig hatte; es hielt Händchen. Während ich Platz nahm, drangen die Gedanken der beiden in meinen Geist. Sie kamen gerade nach einem Liebesspiel aus seinem Zimmer. Es amüsierte mich, ihr heimlicher Vertrauter zu sein; Intimitäten, die zu erfahren ich mir nie die Mühe gemacht hatte, eröffneten sich mir wie gesprochene Worte.
    Inzwischen gelang es mir, die Gedanken auszuwählen, die ich wahrnehmen wollte, so wie man durch das Drehen an einem Knopf einen Radiosender einstellt. Vielleicht besaß das Gehirn etwas Ähnliches wie einen Einstellknopf, ein Neuronenäquivalent für einen Abstimmkreis.
    Astrid und ich saßen einander gegenüber, während die Plattform des Restaurants sich wie der große Zeiger einer Uhr langsam drehte. Die Aussicht auf Hamburg war diesig; Häuserblocks erstreckten sich scheinbar endlos bis zu einem dunstigen Horizont, der mit der Nordsee verschmolz. Ins Landesinnere bot sich ein anderer Anblick – die weite Ebene, von Wasserwegen durchzogen, getupft mit kleinen, von Häusern und Gärten eingefaßten Seen.
    Astrid musterte flüchtig das junge Paar – seine Nähe mißfiel ihr. Die Zurschaustellung junger Liebe schien sie zu belästigen. Das Paar stand auf und ging, als hätte Astrids Aufmerksamkeit es verscheucht.
    Astrid fühlte sich wieder glücklich, nahm die Speisekarte und studierte die Preise um das billigste Gericht ausfindig zu machen. Sie wollte sparsam sein.
    „Sie können ruhig zur mittleren Preislage vorstoßen“, sagte ich. „Ich brauche Madame Dolores nichts mehr zu zahlen.“ Sie schaute mich an und fragte sich immer noch, warum ich die alte Hexe ins Labor gebeten hatte.
    „Darf ich etwas für Sie aussuchen?“ fragte Astrid und bestellte, ohne meine Antwort abzuwarten, Fisch und Aquavit. Offenbar war sie vom Alkohol abhängig.
    „Es paßt gut zu Fisch“, erklärte sie, als könne auch sie meine Gedanken lesen.
    Ihre Hände lagen auf dem Tisch. Sie waren verschieden geformt. Die rechte Hand besaß eine undefinierbare Schönheit – die Hand eines

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