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Das dritte Ohr

Das dritte Ohr

Titel: Das dritte Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Curt Siodmak
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begegnet?
    Er starrte mich an und erblaßte.
    „Ich habe Sie nur im Flugzeug gesehen und weiter keine Notiz von Ihnen genommen, bis Sie jene Stewardess angriffen. Aber ich kenne Ihren Namen, weil Sie ihn mir eben gesagt haben.“
    Der Mann erschauerte plötzlich. Er wollte schreien, aber dann würden die Wärter kommen. Ich mußte ihn davon abhalten.
    „Wohin sollte der Pilot denn, wenn es nach Ihrem Wunsch gegangen wäre, das Flugzeug bringen?“ drängte ich ihn hastig.
    Ich sah Tundra, scharf umrissen in der kalten Luft des Polarkreises. Im Hintergrund lag eine kleine Stadt, deren spitze Kirchtürme in einen Himmel aus milchigem Kristall ragten. Eine lange Flugbahn aus brüchigem, von Unkraut überwuchertem Beton streckte sich der Stadt entgegen. Ich kannte nicht ihre geographische Lage, aber ich sah auch die Mitternachtssonne, eine rote Schreibe, die den halben Himmel einnahm und sich in einem langen See spiegelte. Der See war mit Eisschollen bedeckt.
    „Ein See, die Mitternachtssonne, eine verwahrloste Landebahn“, dachte ich laut. „Eine Stadt im Hintergrund.“ Ich sah dieses Bild lebhaft vor mir. „Wie heißt diese Stadt?“
    Ich erhob mich langsam und starrte dem Mann in die Augen – eine theatralische Geste, aber sie hatte den erwarteten Erfolg.
    Kemijärvi, dachte er. Kemijärvi.
    Für mich war es interessant, daß er versuchte, den Namen in seinem Verstand zu unterdrücken, denn inzwischen hatte er den Verdacht, daß ich Gedanken lesen konnte. Aber gerade weil er sich so darum bemühte, nicht daran zu denken, drängte sich der Name in den Vordergrund.
    „Kemijärvi“, wiederholte ich langsam.
    Er sprang auf und starrte mich genauso entsetzt an wie Astrid Madame Dolores, als diese Astrids Gedanken in Worte umsetzte.
    Der Verstand eines Menschen ist seine persönlichste Schatzkammer, ein Besitz, der nur ihm gehört. Wenn sie geöffnet wird, verliert er jede Beherrschung. Sobald sein Verstand aufgebrochen worden ist, kann er sich nirgends mehr verstecken.
    Schreiend stürzte sich Happala auf mich. Sofort wurde die Tür aufgerissen und der Gefängnisdirektor stürzte, gefolgt von den Wärtern, herein. Sie schlugen auf den Gefangenen ein, und einige Sekunden ging er von Hand zu Hand, als versuchten sie, ihn in Stücke zu reißen. Dann stießen sie ihn auf die Holzpritsche, auf der er zur Wand rollte und wie ein verängstigtes Kind weinte.
    Wir verließen die Zelle; der Wärter schloß ab und preßte sein Gesicht an das Guckloch.
    Während wir durch den Gang zum Büro des Gefängnisdirektors gingen, wiederholte ich den Namen des Mannes.
    „Olav Happala.“
    Woher weiß er das? dachten Löffler und der Gefängnisdirektor gleichzeitig. Sie hatten unser Gespräch durch ein Mikrofon in der Wand über der Tür verfolgt und natürlich nichts gehört.
    „Er hat mir den Namen in der Zelle zugeflüstert“, sagte ich. Ob Löffler mir wohl Glauben schenken würde? Meine Erklärung klang nicht überzeugend, nicht einmal in meinen eigenen Ohren.
    „Das hat er nicht getan“, sagte Löffler, verstört durch meine Leistung, die ans Übernatürliche zu grenzen schien.
    „Woher sollte ich ihn denn sonst kennen? Er hat sehr leise gesprochen“, sagte ich. Sie mußten mir einfach glauben.
    „Sie müssen diesen Mann gekannt haben“, sagte Löffler, als wir zum Büro des Direktors kamen. „Wir haben seine Stimme nicht im Mikrofon gehört.“
    „Und es ist hochempfindlich“, sagte der Direktor anklagend, als versuche er, mich bei einer Lüge zu ertappen.
    Ich zuckte nur die Achseln und überließ es ihnen, ihre eigenen Schlußfolgerungen zu ziehen.
    „Wo liegt Kemijärvi?“ fragte Löffler. „Hat er Ihnen diesen Namen auch zugeflüstert?“ Er war erschüttert und wandte nicht den Blick von mir, als könne er dadurch das Geheimnis enträtseln.
    „Natürlich“, sagte ich. „Klingt finnisch, nicht wahr?“
    Der Gefängnisdirektor nahm den Telefonhörer ab. „Das werden wir gleich feststellen“, sagte er.
    „Also kommen Sie schon. Woher, zum Teufel, kennen Sie seinen Namen?“ Löffler hatte sich entschlossen, meiner Erklärung keinen Glauben zu schenken.
    „Er hat ihn mir gesagt.“
    „Er hat den Mund überhaupt nicht aufgemacht“, sagte Löffler.
    „Woher sollte ich es denn sonst wissen?“ fragte ich wütend und versuchte, meine Erklärung glaubhaft klingen zu lassen. Verdammt noch mal, er lügt! dachte Löffler.
    Der Gefängnisdirektor legte den Hörer auf.
    „Kemijärvi liegt in Finnland, an einem

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