Das Dunkel der Lagune
mit dem alten Säufer O'Hara? Der kriegt doch das Zittern, wenn er nicht täglich seine zwei Flaschen Fusel bekommt.«
»Ich weiß, aber wenn er in nüchternem Zustand ist, ist er ein wirklich guter Seemann. Bei ihm kann man sich wenigstens darauf verlassen, dass er den Mund hält. Abgesehen davon ist er mein Freund.«
Danach herrschte lange Zeit Schweigen. Eine schwache Brise spielte mit den Lamellen der Bambusjalousie. Hagen zündete sich nervös eine Zigarette an und wartete. Charlie studierte wieder die Landkarte und war in Gedanken versunken. Plötzlich richtete er sich auf. »Okay, Mark, komm morgen wieder. Nicht zu früh, aber auch nicht zu spät. Ich lasse mir die Sache durch den Kopf gehen.«
Hagen verzog keine Miene, als er das Büro verließ und die Treppe hinunterstieg. Auf der Straße wimmelte es von Menschen. Hagen verspürte eine freudige Erregung und grinste über das ganze Gesicht. Charlie hatte angebissen; die Sache war so gut wie gemacht. Ein Gefühl von enormer Zuversicht und Hoffnung stieg in ihm auf. Sehr bald, vielleicht schon in ein paar Tagen, würde er mit der Fähre nach Kowloon fahren. Und dann mit einem Flugzeug über den Pazifik entschweben … Plötzlich wurde ihm klar, dass er überhaupt nicht nach Amerika zurückkehren wollte. Nichts zog ihn dorthin zurück. Er überlegte, wo er sich sonst noch niederlassen konnte. Irland, das wär nicht schlecht. Ein Landhaus, Whiskey und Rassepferde.
Der Gedanke an Irland erinnerte ihn an O'Hara, und er beschloss, den alten Mann zu suchen. Er zog durch alle Kneipen im Hafenviertel. So verging eine Stunde, und Hagen wollte die Suche gerade aufgeben, als er O'Hara in einer der schlimmsten Spelunken von Macao aufstöberte. Ein bulliger französischer Matrose hatte den Alten halb über den Tisch gezogen. Mit einer Hand hielt er ihn fest, mit der anderen schüttete er ihm Bier über den Kopf. Hagen drängte sich durch die johlende, betrunkene Zuschauermenge, nahm den nächstbesten Stuhl und schlug ihn dem Franzosen über den Kopf. Der Stuhl zersplitterte, und der Matrose sank zu Boden, ohne einen Laut von sich zu geben. Hagen zog O'Hara hoch und trug ihn auf seinen Schultern hinaus. Die Menge machte ihm respektvoll Platz.
Er rief eine Rikscha und hievte O'Hara hinein. Es war kein weiter Weg bis zu der schäbigen Hütte, die der alte Mann sein Zuhause nannte. Hagen trug den Iren in sein Zimmer und warf ihn auf das Bett. Dem Aussehen nach zu urteilen, hatte O'Hara mindestens zwei Tage an der Flasche gehangen. Hagen schloss die Tür von außen ab und steckte den Schlüssel in die Jackentasche.
Die Nacht brach schon herein, als er in seine Pension kam. Ein anderer Portier hatte Dienst, ein dürrer, verschlagen aussehender Chinese. »Irgendeine Nachricht?«, fragte Hagen.
»Nein, Kapitän Hagen. Keine Nachricht.« Hagen war schon halb die Treppe hinaufgelaufen, als ihm plötzlich bewusst wurde, dass der Portier ihn mit seinem Namen angesprochen hatte, obwohl er ihn doch nicht kennen konnte. Was mochte mit dem anderen Portier geschehen sein? Vorsichtig näherte er sich seiner Tür und blieb eine Weile lauschend stehen.
Schließlich fand er seine Vorsicht albern, schloss die Tür auf und ging hinein.
Als er das Licht anknipste, sah er einen Mann, der auf dem Bett saß und nachdenklich die Wand anstarrte. Er war klein und trug einen tadellosen weißen Anzug. Seine behand schuhten Hände waren über dem silbernen Griff eines Spazierstocks gefaltet. Hagen lehnte sich an die Tür, zündete sich eine Zigarette an und wartete. Der Mann drehte sich halb herum, zog, immer noch sitzend, seinen Panamahut und fragte: »Habe ich die Ehre, mit Kapitän Hagen zu sprechen?«
Hagen fand den ungebetenen Besucher zu liebenswürdig. Seine Augen blickten trotz des freundlichen Gesichtsausdrucks leblos und starr wie die einer Puffotter.
Hagen blies eine Rauchwolke in seine Richtung und sagte schließlich: »Hör mal, du Komiker, ich hab zu tun, also schieß los und sag, was du willst, und verzieh dich dann!«
Der kleine Mann hob seinen Stock missbilligend in die Höhe und lächelte ihn an wie ein Vater seinen widerspenstigen Sohn. »Kapitän Hagen, was würden Sie davon halten, im Handumdrehen zwanzigtausend amerikanische Dollar zu verdienen? Ohne jedes Risiko, ohne jede Mühe.«
Hagen ging ins Badezimmer, kam mit einer Flasche Gin und zwei Gläsern zurück, schenkte ein und setzte sich neben den Besucher auf das
Weitere Kostenlose Bücher