Das Dunkel der Lagune
Sie denn jetzt überhaupt noch?«, wand Kossoff ein.
»Natürlich brauchst du mich noch. Die Kleine ist keine Mimose. Hat in Indochina einiges durchgemacht. Die lässt sich von dir eher totschlagen, als dass sie den Mund aufmacht.« Am anderen Ende war nur aufmerksames Schweigen zu hören. Hagen fuhr deshalb fort: »Andererseits ist sie in mich verliebt. Ich muss also nur hinkommen und zu ihr sagen, dass du mich erschießt, wenn sie nicht mit dem herausrückt, was du hören willst. Wirst sehen, wie schnell sie redet.«
Kossoff schwieg weiter. Hagen konnte sich lebhaft vorstellen, wie angestrengt der Russe überlegte: Er musste ihn für einen Schwachkopf halten, dessen Plan allerdings einiges für sich hatte. Wenn dieser Plan funktionieren würde, könnte man diesen Schwachkopf ja immer noch beseitigen. Kossoff räusperte sich. »Ich erwarte Sie also in zwanzig Minuten, Kapitän. Und machen Sie sich nicht die Mühe, eine Waffe mitzubringen.«
Hagen knallte den Hörer auf die Gabel und schlug mit der geballten Faust in die Handfläche. »Es könnte klappen«, murmelte er. »Es könnte gerade so klappen.« Er zog Claras Schreibtischschublade auf und nahm einen 38er Revolver mit abgesägtem Lauf heraus.
»Was soll das?«, rief Clara erstaunt. »Was hast du vor?«
»Hol mir Pflaster«, antwortete er. Sie ging ins Bad und kam mit einer Rolle Pflaster und einer Schere zurück. Er nahm seinen Panamahut ab, legte den Revolver hinein, schnitt einige Pflaster streifen ab und klebte damit die Waffe fest. Währenddessen weihte er Clara in seine Absichten ein.
»Du bist verrückt. Das geht nie und nimmer gut.«
Er setzte den Hut wieder auf. Tatsächlich deutete nichts darauf hin, dass ein Revolver darin versteckt war. »Was soll ich denn sonst machen?«
Clara wusste darauf keine Antwort. Sie drückte ihm ein Bündel Geldscheine in die Hand. »Nimm sie. Man weiß nie, was passiert.« Tränen traten ihr in die Augen und liefen über ihre Wangen. Hagen umarmte sie kurz und verließ eiligst das Zimmer.
Vor der Villa warteten mehrere klapprige Taxis. Er nahm sich das, das am verlässlichsten aussah, ließ sich in den Sitz fallen und schloss die Augen. Es wird klappen, machte er sich Mut. Es muss ganz einfach. Ich muss Rose da rausholen. Mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass seine Gedanken die ganze Zeit nur dem Mädchen und nicht dem Goldschatz gegolten hatten. Was ist nur mit mir los?, fragte er sich, als das Taxi vor dem Lagerhaus hielt.
Er bezahlte und stieg aus. Das Taxi fuhr davon. Hagens Blick wanderte an der Fassade des baufälligen Gebäudes hoch. Er war richtig hier. Henry Wong – Import stand in verblassenden weißen Lettern über dem großen Tor. Irgendwo im Hafen klagte eine Schiffssirene. Hagen bekam ein flaues Gefühl im Magen. Als er vor dem Tor stand und klopfte, hatte er so viel Angst wie noch nie zuvor in seinem Leben. Eine kleine Schlupftür befand sich in dem großen, zweiflügligen Tor, die auf sein Klopfen hin sofort geöffnet wurde, so als ob man ihn schon längere Zeit beobachtet hätte. Irgendwer blendete ihn mit einer hellen Lampe. »Hände hoch und langsam geradeaus!«, befahl eine Stimme.
Er tat, wie ihm geheißen. Dann wurden die Neonröhren angeschaltet. Hagen blinzelte; schwarze Flecken tanzten vor seinen Augen. Kossoff stand mit einer Luger in der rechten Hand vor ihm und lächelte. »Ich hoffe für Sie, dass Sie meine Anweisung befolgt haben, Kapitän.« Auf seine Handbewegung hin gingen zwei Männer auf Hagen zu und tasteten ihn gründlich ab. Nach einer Weile traten sie zurück und schüttelten die Köpfe. Kossoff lächelte wieder verbindlichst und steckte die Luger in die Jackentasche. »Sehr schön. Ich bin zufrieden mit Ihnen, Kapitän. Sie sind vernünftig. Folgen Sie mir.« Er drehte sich um und ging voran. Ihre Schritte hallten durch das riesige, leere Lagerhaus.
Als sie eine Stahltreppe hochstiegen, sah Hagen kurz hinter sich, um sich ein Bild von seinen Gegnern machen zu können. Die beiden Männer, die ihn abgetastet hatten, waren typische Schläger aus einer Hafenbande. Diese Erkenntnis stimmte ihn wenig zuversichtlich. Er hatte fest damit gerechnet, sich mit den üblichen Amateuren auseinander setzen zu müssen, doch Kossoff hatte ihm zuliebe hartgesottene Profis angeheuert. Kossoff öffnete eine Tür.
Sie kamen in einen von dicken Rauchschwaden erfüllten Raum, der nur von einer nackten Glühbirne über dem Tisch in der
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