Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)
Flammen warfen einen rosigen Schein auf die Wangen, und die natürliche Auslese im Club führte ja auch dazu, dass dort oben nur die perfektesten Exemplare landeten.
Ich suchte 50 Aufnahmen aus und druckte sie. Dann kam mir plötzlich eine Idee: Und wenn ich einfach eine Kopie von Aurelias Porträt für Mr Marlinson ausdruckte? Natürlich nicht in so einer riesigen Größe, die einen völlig erschlug, und auch mit weniger Glanz und ohne Rahmen – aber das Bild bedeutete ihm ja offensichtlich viel, also konnte ich wenigstens das für ihn tun. Es wäre ein Ersatz für das Original, so wie die Postkarte mit La Jeune Martyre für mich. Gerade als ich das Bild aufgerufen hatte und auf Drucken gegangen war, kam Lance wieder herein. Er zog beim Gehen die Füße nach und ließ sich auf einen der Stühle in der Ecke sinken.
»Mir geht’s nicht gut«, wimmerte er und legte sich die Hand auf den Bauch.
Ich drehte mich um und sah ihn an.
»Das ist jetzt nicht böse gemeint, aber du siehst auch nicht gut aus.« Lance war bleich geworden, und auf seiner schweißbedeckten Haut lag ein fiebriger Glanz. Er lehnte sich mit dem Kopf an die Wand und schloss die Augen.
»Mir ist sterbenselend.«
»Liegt das am Wildschwein?«
»Keine Ahnung. Lebensmittelvergiftungen setzen theoretisch viel später ein, also kann ich mir das gar nicht erklären«, lallte er und verzog vor Schmerz das Gesicht. »Und es war echt lecker.« Er verstummte kurz. »Ich glaube, ich muss gleich kotzen.«
Mit dem Fuß schob ich ihm den kleinen Papierkorb aus Metall rüber. »Du solltest dich hinlegen, ich meine, falls du es zurück in dein Zimmer schaffst. Meinst du, das geht? Ich kann dich sonst auch begleiten.«
»Nein, das ist schon okay.« Langsam schob er sich hoch. »Bist du sicher? Ich weiß ja, dass ich eigentlich noch das mit den Fotos machen sollte und so.«
»Vergiss es, das ist in Ordnung, echt. Jetzt geh schon. Bitte.«
Er konnte kaum noch die Augen offenhalten. Sie sahen aus wie Briefschlitze in einer Haustür.
»Danke«, flüsterte er und schlich gebeugt aus meinem Büro. »Darum kümmere ich mich morgen als Allererstes, versprochen. Lass das ruhig für mich liegen …« Er murmelte weiter vor sich hin, während er davontrottete. Das Geräusch seiner schweren Schritte wurde leiser, nachdem er durch die Tür getreten war. Ich sah ihm noch lange nach und fragte mich, ob ich ihn nicht doch besser begleitet hätte. So war es ihm vermutlich an dem Abend ergangen, als ich in die Drogerie wollte. Ich würde später noch mal nach ihm sehen.
Zurück im Büro nahm ich an meinem Schreibtisch Platz und zog ein leeres Blatt aus dem Drucker – zwischen weißem Papier und dem mit Aurelias Briefkopf erschien mir Ersteres angebrachter. Ich begann zu schreiben:
Lieber Mr Marlinson,
ich weiß, dass es nicht ganz dasselbe ist, aber ich habe gedacht, dass Ihnen das hier sicher gefällt.
Ihre
Haven
Dann steckte ich diese Nachricht und das gedruckte Foto in einen Umschlag, besorgte mir an der Rezeption Marlinsons Zimmernummer und schob das Kuvert unter seiner Tür durch.
Auf der Suche nach etwas Trost lief ich kurz nach unten, holte mir Mantel und Handy und verschwand nach draußen, wo ich an der kalten Backsteinmauer des Hotels ein geschütztes Plätzchen fand. Es war eine verborgene Ecke, an der ich endlich mal verschnaufen konnte, auch wenn mir der heftige Wind beinahe den Atem verschlug.
Joan ging augenblicklich ran, sie war so aufgeregt und dankbar, meine Stimme zu hören. Das wärmte mich in der klirrenden Kälte und unter dem dunklen Himmel.
»Haven, Liebes! Wie geht es dir? Wie war die große Eröffnung? Ich habe alles darüber in der Trib gelesen. Du bist da mitten drin im Getümmel, was? Sie haben es sogar in den Abendnachrichten gebracht! Im Krankenhaus sind alle total begeistert. Also, erzähl schon, schieß los, wie war’s?«
»Ja, echt super.« Mir wurde augenblicklich klar, dass ich für Joan wohl etwas mehr Enthusiasmus aufbringen musste.
Tatsächlich herrschte jetzt erwartungsvolles Schweigen in der Leitung.
»Super? Das ist alles? Komm schon, Haven, du bist mein Fenster zur großen weiten Welt. Meine Güte!«
»Nein, ja, sorry. Natürlich war es der Hammer. Meine Mentorin hatte dieses tolle 20er-Jahre-Kleid für mich …«
»Diese Aurelia? Ich habe sie im Fernsehen gesehen. Die ist ja der Wahnsinn. Die Typen da wirken alle ein bisschen überirdisch, oder?«
»Ja, irgendwie schon.«
»Sie hatte also ein Kleid für dich …«,
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