Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)
wiederholte sie gedehnt und wartete auf weitere Einzelheiten.
»Ja, und dann hat sie mir die Haare gemacht und mich geschminkt und so.«
»Oh! Ich hoffe, du hast ein paar Fotos.«
Ich überlegte und musste lachen. Es war mir überhaupt nicht in den Sinn gekommen, diesen Abend für mich selbst zu dokumentieren. »Weißt du, ehrlich gesagt habe ich das ganz vergessen. Ich hatte ziemlich viel zu tun.«
»Oh, na ja, es kommt ja bestimmt noch mal so eine Gelegenheit.«
»Sicher.« Autos bogen um die Ecke und rasten aneinander vorbei, jemand fing an zu hupen, und ein weiteres langes, lautes, unbarmherziges Tröten antwortete darauf. Ein nicht enden wollender Strom von Taxis brachte Leute für einen Drink nach der Arbeit oder ein frühes Dinner vorbei oder nahm Gäste auf, die unter der Markise gewartet hatten und ein Theaterstück, ein Konzert oder irgendeine andere Veranstaltung in der grell erleuchteten Stadt besuchen würden. Vorfreude lag auf allen Gesichtern. Und dann war da noch ich – ich hatte das Hotel heute zwar schon zum zweiten Mal verlassen, befand mich aber trotzdem in der Gewalt unbekannter Dämonen und wurde von einem seltsamen Buch bedroht. Außerdem quälte mich die Vorstellung, dass ich angeblich irgendein seltsames Wesen war, das man überwachen und beherrschen musste. Und dennoch durfte ich über das alles nicht mit Joan sprechen, einem der wenigen Menschen auf dieser Welt, der mich aufmuntern konnte.
»Schätzchen, irgendwie klingst du komisch. Ist alles in Ordnung? Hat das mit dem Valentinstag zu tun? Mach dir da mal keine Sorgen, Haven, davon liegen doch noch so viele vor dir, und die werden sicher alle wunderschön!«
»Nein, das ist es nicht, ich meine, irgendwie schon …« Es war unmöglich, die ganze Geschichte zu einer leicht verdaulichen, knappen Information zusammenzufassen, das war alles viel zu kompliziert. »Vergiss es.«
»Was mir jetzt ziemlich schwerfallen wird.«
»Könntest du es denn wenigstens versuchen?«
»Okay, ich sehe schon, dass du nicht darüber reden willst.«
»Danke.«
»Sag mal, was hältst du davon, wenn wir uns demnächst zum Mittagessen treffen? Ich könnte in die Stadt kommen und dich in den Water Tower Place oder in die Cheesecake Factory oder so einladen. Du fehlst mir so, mein Schatz.«
»Ich weiß, du mir doch auch. Vielleicht bald, okay? Hier war einfach … so viel los.« Wenn ich ihr erst mal gegenüberstand, konnte ich ihr nämlich nichts mehr vormachen.
»Na gut, dieses Mal lasse ich es dir noch durchgehen, aber in ein paar Wochen probiere ich es wieder, und dann akzeptiere ich bestimmt kein Nein.«
»Na gut.« Ich lachte.
»Ich mache mir einfach nur Sorgen. Du klingst furchtbar müde und überarbeitet.«
»Es geht mir gut, versprochen. Ich hab dich lieb, Joan.«
»Ich dich auch, mein Schatz.«
Auf dem Weg zurück in mein Zimmer sah ich noch kurz in der Parlor-Küche vorbei. Da herrschte gerade Hochbetrieb, jetzt war die Zeit für Cocktails. Ich lächelte den Köchen, die da hackten, brutzelten und die typischen, klassischen kleinen Bar-Häppchen auf Tellern verteilten, schüchtern zu. Was würde ich nicht alles geben, um rüberzugreifen und eine von diesen knusprigen Fritten in Logo-Form zu stibitzen – oder vielmehr Pommes frites , wie die hier hießen. Stattdessen warf ich einen Blick in den Kühlschrank, um mir mal den Shepherd’s Pie anzusehen, den ich vorhin verpasst hatte. So was hatte ich noch nie gegessen, es war wirklich ein ulkiges Gericht: eine Lage Fleischmasse und darauf eine Wolke aus Kartoffelpüree. Hm. Wohl eher nicht. Ich nahm mir einen Apfel sowie eine Flasche Wasser und zog die halbvolle Schachtel Lucky Charms vom Regal herunter. So still und leise, wie ich gekommen war, verschwand ich auch wieder aus der Küche.
Dann ging ich zu Lance hinunter und klopfte. Er antwortete mit dumpfer Stimme.
»Hm?«
»Hey, hier ist Haven«, rief ich. »Alles okay?«
Lance machte zwar die Tür auf, die Augen aber nicht. Es sah aus, als schlafe er eigentlich noch immer. Keine Brille und ein strubbeliger Schopf, der in alle Richtungen abstand – ich hätte ja nicht gedacht, dass kurze Haare so chaotisch aussehen konnten. »Es geht mir gut, ich bin gerade nur echt fertig, aber ich fühl mich schon etwas besser, danke.«
»Gut. Tut mir leid, äh, dass ich dich geweckt habe. Dann lass ich dich mal weiterschlafen.«
Er wedelte mit einer Hand taumelig in meine Richtung und verschwand dann wieder in der Dunkelheit. Ich hörte das Bett
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