Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)
gegen die Wand. Im Nacken schien ich augenblicklich eine mindestens dattelgroße Beule zu entwickeln, aber ich war drin.
Jetzt musste ich mich an die Arbeit machen. Ich stellte mich auf den Stuhl und griff nach meiner Taschenlampe, die ich mir vorher zurechtgelegt hatte, dann sah ich mich im Zimmer nach einem Versteck um, das geräumig genug war, um ein Foto in der Größe von Aurelias Porträt zu beherbergen. Zunächst versuchte ich es mit den üblichen Verdächtigen: im Garderobenschrank in der Ecke neben der Tür (nichts, noch nicht einmal Anzeichen für einen Tunnel wie in meinem Zimmer), hinter den Bildern über der Couch. Boden und Wände untersuchte ich auf irgendwelche Ritzen, hinter denen sich noch mehr Gänge oder geheime Kammern verbargen. Ich ging den ganzen Raum ab und fuhr dabei mit den Fingern über die Vertäfelung aus Holz, falls dort irgendetwas nicht stimmen sollte.
Schließlich stand ich vor dem eingebauten Bücherregal. Ich hatte in den Geschichtsbüchern gelesen, dass während der Prohibition alle möglichen Sünden in ausgehöhlten Büchern oder hinter falschen Buchrücken versteckt wurden. Da war es doch völlig logisch, dass sich in so einem Hotel voller geheimer Ecken, Nischen und Tunnel etwas hinter dieser literarischen Sammlung verbarg. Ich begann, gegen einige Bücher zu klopfen oder zu drücken und rüttelte an den Regalbrettern, um zu sehen, ob sich vielleicht irgendetwas öffnete. In alten Filmen funktionierte das doch immer, aber jetzt kam es mir albern und planlos vor. Also trat ich einen Schritt zurück und leuchtete mit der Taschenlampe, und da entdeckte ich sie: eine runde Scheibe von der Größe eines Vierteldollars, die am Rand in das hölzerne Möbelstück eingelassen war. Als ich näher herantrat, entdeckte ich darauf das gleiche Pentagramm-Design, das ich auch schon an der geheimnisvollen Tür unten im Gang gesehen hatte. Das wiederholte Auftauchen des Symbols war ein klares Zeichen dafür, dass hier böse Mächte am Werk waren.
Ich suchte Aurelias Schreibtisch ab und entdeckte unter einigen Papieren einen Schlüsselring: Daran hing ein Trio aus pentagrammförmigen Zylindern. Ich versuchte es zuerst mit dem mittleren – er hatte etwa die Länge einer weißen Klaviertaste. Langsam schob ich ihn in die Öffnung der Scheibe, und tatsächlich, es erklang ein Klicken und dann ein Knirschen. In der Mitte der Bücherwand taten sich zwei Paneele auf, die jetzt vorstanden wie lockere Zähne und nur darauf warteten, gezogen zu werden. Ich zerrte daran und hatte eigentlich erwartet, dass sich das ganze Regal öffnen würde, aber es blieb bei diesem Fenster auf Hüfthöhe. Also lehnte ich mich vor, leuchtete mit der Taschenlampe hinein und entdeckte einen kleinen Raum, in dem zwei mit Samt abgedeckte Bilder an den hölzernen Balken der Wand lehnten.
Ich schob mich hinein, so als würde ich über einen Zaun klettern. Als mich der Raum umfing, herrschte darin unheimliche Grabesstille, und es war bis auf das Licht meiner Lampe stockduster. Die Dunkelheit hier war lebendig und gierig und verstärkte damit nur noch die Stille, die die Kammer so vollständig ausfüllte, dass man das Gefühl hatte, selbst ein Schrei würde hier augenblicklich verschluckt. Es war eine Zelle, eine Isolationskammer. Ich wollte hier so schnell wie möglich wieder raus.
Also verlor ich keine Zeit und schlug die Abdeckung zurück. Seite an Seite starrten mich zwei Fotos an. Ich bekam ganz weiche Knie, während ich bei Aurelias Porträt die furchtbaren Veränderungen auf mich wirken ließ. Die kleinen Makel, die ich vor ein paar Tagen entdeckt hatte, waren nämlich noch gar nichts gewesen – sie waren zu einer ganz neuen Art allumfassenden, Brechreiz hervorrufenden Ekels erblüht. Jetzt zerschmolzen ihre sinnlichen Glieder wie glänzendes Plastik in der Sonne und sickerten zu Boden. Die knochigen Finger mit gelben Nägeln suchten nach dem Auge, das seine Höhle verlassen hatte und nur noch an einer einzigen Ader baumelte. Ihr zarter Nacken war aufgeschlitzt und eiterte in verschiedenen Rot-, Gelb- und Grüntönen, die zu den Schnitten und Wunden am restlichen Körper passten. Aurelia sah jetzt nicht viel anders aus als Calliope, die einst so schöne junge Frau, die auf der Gala und in meinen Träumen als verkohltes, zerfallenes Monster aufgetaucht war.
Dann fiel mein Blick auf mein eigenes Bild, das ich hier endlich aufgespürt hatte. Warum hatte sie das vom Rest getrennt und hier verstaut?
Mit Ausnahme
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