Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)
meiner Narben war ich von der grausigen Entstellung verschont geblieben, die Aurelias Bild befallen hatte – und da diese Striemen die hässliche Wahrheit waren, sie ganz allein mir gehörten, konnte ich mich darüber nicht einmal groß aufregen. Nein, mit meinem Porträt war etwas ganz anderes passiert. Meine komplette Haltung hatte sich verändert, ich lag jetzt auf dem Rücken, und etwas Glänzendes umgab mein Haupt. Ich lehnte mich vor, richtete die Taschenlampe darauf und streckte die Hand aus, um das Foto zu berühren. Wenn ich mich nicht völlig irrte, dann sah das so aus, als hätte sich um meinen Kopf ein Heiligenschein gebildet. Konnte das denn stimmen? Das ergab doch überhaupt keinen Sinn! Wie konnte es denn zu so etwas kommen? Ich war so in Gedanken verloren, dass ich das Rasseln zunächst gar nicht mitbekam. Aber dann hallte es in meinen Ohren wider, und ich erstarrte.
Die Tür. Die Tür zum Büro bewegte sich, und es erklangen leise Stimmen. Ich sprang auf.
Natürlich, natürlich, natürlich: Das Licht war an gewesen, und die Schlüssel hatten draußen herumgelegen. Aurelia hätte ihr Arbeitszimmer doch nie so zurückgelassen, wenn sie nicht vorhatte, bald zurückzukehren. Irgendetwas übernahm plötzlich die Kontrolle über meinen Körper, und statt zu denken, trat ich einfach die Flucht an. Ich deckte nicht einmal die Fotos wieder ab. Mit der Taschenlampe in der Hand hetzte ich einfach hinaus und warf wilde Lichtblitze durch den Raum, als ich das Regal wieder zuschob. Dann sprintete ich zum Schreibtisch hinüber, durchquerte den Raum mit nur drei langen Laufschritten, warf die Schlüssel auf den Tisch, sprang auf den Stuhl und schleuderte die Taschenlampe in die Wandöffnung. Ich hätte nie gedacht, dass ich so einen großen Satz machen konnte, aber es gelang mir, und ich zog mich mit Armen in die Öffnung, die sich plötzlich anfühlten, als könnte ich damit Berge versetzen. Mit einem dumpfen Schlag kam ich hart auf dem Boden auf, aber das Adrenalin in meinen Adern stellte sicher, dass ich nicht das kleinste bisschen Schmerz empfand. Stattdessen sprang ich wieder auf die Füße und brachte genug Kraft zusammen, um die Luke genau in dem Moment wieder zuzuziehen, als das Büro betreten wurde.
Aurelia kam mit Lucian im Schlepptau herein, der die Tür hinter sich zuwarf. Sie sprach in harschem Tonfall mit ihm, mit der Stimme, die sie normalerweise bei mir benutzte. Ich umfing meinen Kopf mit schweißnassen Händen und lehnte mich zitternd gegen die Balken. Dann schloss ich die Augen und versuchte mich zu beruhigen. Konzentrier dich jetzt, du musst zuhören . Ich blickte durch das Guckloch.
»Irgendwie bin ich heute nicht ganz ich selbst«, erklärte Aurelia, während sie in gefährlicher Nähe zu mir ihren Platz hinter dem Schreibtisch einnahm. »Diese … Situation … in der Galerie und das alles. Oh, da sind sie ja«, unterbrach sie sich selbst und wedelte mit dem Schlüsselbund herum. »Die braucht Beckett nachher.« Sie reichte Lucian die Schlüssel mit spitzen Fingern und nahm dann auf dem Stuhl Platz. Ich hoffte nur, dass ich darauf keine Fußabdrücke hinterlassen hatte. Lucian saß mit gelangweilter Miene auf dem Sofa und rückte sich die Hemdaufschläge, die aus den Ärmeln des Jacketts herausschauten, zurecht. Er berührte seine Manschettenknöpfe, um zu sehen, ob sie auch richtig saßen. »Auf jeden Fall bin ich konsterniert, weil ich wirklich gedacht habe, dass wir für unsere Arbeit viel mehr Zeit zur Verfügung haben. Ich begreife einfach nicht, wie sie in so kurzer Zeit so mächtig werden konnte.«
»Na ja, so ist das doch wohl am Anfang.« Er sah sie bei diesen Worten immer noch nicht an, so als ob er ihr diese Genugtuung nicht gönnen wollte. Aurelia sah aus, als würde sie gleich in die Luft gehen. »So wie ich das verstanden habe, gibt es doch zunächst solche Schübe und Anfälle – unglaubliche Veränderungen und unheimliche Fortschritte, und dann wieder für einige Zeit nichts. Ich denke, so war es auch bei uns, bevor, du weißt schon …« Er verstummte.
»Also bitte«, fuhr sie ihn an, dann wurde ihr Tonfall jedoch sanfter. »Davon will ich nichts hören. Wenn du deine Aufgabe kompetent erledigen würdest, dann hätten wir dieses Problem jetzt nicht. Sie wäre unter Kontrolle. So langsam habe ich die Nase voll von dieser Haven , und deine Unfähigkeit ist der Grund dafür, dass es überhaupt so weit gekommen ist.«
Mir rutschte das Herz in die Hose und riss dabei
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