Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)
ich mit ausgestreckter Hand an der Wand entlang durch die Dunkelheit, bis ich endlich den Durchgang zum matt erleuchteten unterirdischen Labyrinth fand. Ich marschierte stramm voran, aber dann hörte ich es irgendwann: ein leises Klicken, das Rasseln von Metall auf Metall und das Geräusch einer Tür, die geöffnet wurde. Es kam aus der Richtung des Raumes, in dem die Fotos aufbewahrt wurden. Ich fuhr herum und suchte nach einem Versteck. Zuerst probierte ich zwei Türklinken – verschlossen und verschlossen – dann schob ich mich durch eine Öffnung, in der es überhaupt keine Tür mehr gab, aber das musste in dieser Dunkelheit reichen. Es handelte sich um ein Kämmerchen, das nicht größer als ein Schrank war. Darin stand nur ein hölzernes Regal mit Einschusslöchern, in dem ich eine einzelne leere Flasche entdeckte. Ich hörte eine Stimme und drückte mich gegen die Wand.
»Du hast mich erschreckt«, sagte Lucian ruhig.
»Komisch, ich hätte dich nicht für so schreckhaft gehalten«, gurrte Aurelia zurück.
»Kann ich irgendwas für dich tun, Aurelia?« Jetzt klang er ungeduldig. Das Metall rasselte wieder.
Sie ging nicht auf seine Frage ein und sprach einfach weiter: »Wie ist es gelaufen? Hat sie sich gesträubt?«
»Nicht im Geringsten.«
»Diese Raphaella hat eben Klasse.«
Ich hörte noch ein Rasseln und dann das Quietschen eines Scharniers – das musste wohl die Tür sein, die Beckett geöffnet hatte, diese Tür mit Pentagramm-Schlüsselloch, die so siedend heiß gewesen war. Verbarg sich dahinter etwa der Weg in die Unterwelt? War das denn möglich?
Ich erschauderte und verschränkte die Arme vor der Brust, um nicht zu zittern. Lucian hatte Raphaella nach unten begleitet. Das war seine Aufgabe. Wahrscheinlich hatte er das schon unzählige Male erledigt. Wenn er Seelen kaufte, dann wusste er, dass er sie eines Tages persönlich in ihren furchtbarsten Albtraum entlassen würde, sie in diese Unterwelt bringen musste, in der ewige Folter und wer weiß was noch alles auf sie warteten. Warum bloß hatte sich ein Teil von mir je nach ihm gesehnt? Wie konnte mein Herz solchen Verrat begehen? Warum hatte ich ignoriert, dass meine Narben in seiner Nähe jedes Mal wie Feuer gebrannt hatten? Aber die Antwort darauf kannte ich natürlich längst – ich hatte es einfach nicht wahrhaben wollen. Es war mir egal gewesen, dass er vielleicht nicht gut für mich war und ob er meine blinde Verehrung überhaupt verdiente. Ich hatte Lucian einfach nur gewollt, so sehr, wie ich mich noch nie zuvor nach jemandem verzehrt hatte. Meine Schwärmereien in der Schule kamen mir im Vergleich dazu jetzt so albern und lachhaft unschuldig vor. Ich war diesem Monster verfallen. Jetzt wurde dieses Tor ohne Wiederkehr zugeschlagen, und Lucian zückte vermutlich wieder den Schlüssel.
»Nicht so schnell, mein Lieber«, knurrte Aurelia. »Überbringst du das noch unserem geliebten Herrn?« Ich hörte Papier knistern und dann langes Schweigen. »Ich glaube, die Antwort lautet ›Ja‹«, soufflierte sie schließlich.
»Ja, natürlich«, erwiderte er mit nur einer Spur von Sarkasmus.
»Danke, mein Lamm. Tut mir leid, aber es ist dringend.« Das klang überhaupt nicht so, als würde es ihr leidtun.
»Ist das dann alles?«
»Ja.« Jetzt war sanftes Schmatzen zu hören, und ich lehnte mich unwillkürlich vor, so dass ich einen kurzen Blick auf die beiden erhaschen konnte. Genug, um zu erkennen, dass sie ihn auf die Lippen küsste, er den Kuss aber nicht erwiderte. Er stand einfach nur still und gleichgültig da. »Bis später«, verabschiedete sie sich und verharrte einen Moment so nah an seiner Seite, wie es irgend möglich war, ohne ihn dabei zu berühren. Dann trat sie einen Schritt von ihm weg, und ich fuhr zurück in mein Schlupfloch. Ihre Schritte wurden lauter, das helle Klappern ihrer Absätze auf dem Zementboden kam näher. Ich drückte mich in meiner Ecke flach gegen die Wand und hoffte, dass die dunklen Schatten reichten, um mich hier zu verbergen. Sie marschierte zackig an mir vorbei und schien dann, so hörte es sich an, durch den Tunnel noch einmal den Weg zum Tresor einzuschlagen. Als ihre Schritte seit langen Sekunden verstummt waren, kroch ich zurück. Auf halbem Wege zurück zum Raum erreichte ich die Stelle, an der ich über hüfthohen Schutt hinweg einen Blick in das verfallene Zimmer werfen konnte.
Lucian war immer noch da. Ich erstarrte.
Mit dem Rücken zu mir hatte er sich über die Fotos gebeugt. Meine
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