Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)
Rücklichter nicht mehr zu sehen waren, stand draußen in der kühlen Abendluft und redete mir ein, dass das mit dem 27. Mai schon in Ordnung gehen würde, weil es einfach so sein musste. Ich würde überleben und dieses Buch Lügen strafen. Ich würde tun, was nötig war, und mich jedem Gegner stellen. Dieses Spiel hier musste ich einfach gewinnen.
Als ich langsam taube Hände und Füße bekam, folgte ich den Scharen, die fürs Abendessen und einen Drink ins Lexington strömten. Sie kamen freiwillig her, für mich war es jedoch ein Gefängnis. Ich schritt durch die Lobby mit ihrer trällernden Musik und wünschte mir, die Zeit zurückdrehen und alles vergessen zu können. In dem Moment spürte ich seinen Blick. Ich erlaubte mir, kurz rüberzusehen, als ich am Gang neben dem Capone vorbeikam, aus dem ich nach unserem gemeinsamen Abendessen herausgeschwebt war. Dort stand Lucian mit einem Ordner in der Hand im Schatten und wirkte auf einmal seltsam verloren. Er stand einfach nur da und schaute zu mir herüber. Ich wandte den Blick ab und ging mit schnellen Schritten auf den Lift zu. Ich vermisste den guten Lucian, den Typen, mit dem ich ein Date gehabt und geflirtet hatte und bei dem ich mich wie etwas ganz Besonderes gefühlt hatte, selbst wenn alles nur Show gewesen war. Aber darauf achtet das Herz eben nicht. Meins wusste nur, dass ich ihn gerngehabt hatte und wie weh die Erkenntnis tat, dass er und seine Gefühle gar nicht echt waren. Ich war erleichtert, als der Aufzug mich endlich verschluckte.
Und einsam.
Ein Blick auf die Uhr tröstete mich jedoch. 19.55 Uhr. Lance war bestimmt schon wieder zurück.
Nach all den unerwarteten und bizarren Vorfällen der letzten Monate hätte ich doch auf alles gefasst sein müssen. Was geschah, als der Abschlussball und dieses schreckliche Datum näher rückten, traf mich trotzdem unvorbereitet. Das wurde mir eine Woche vor dem schicksalshaften Datum klar. Als ich an diesem Morgen aufwachte, mich nur noch sieben Tage vom Schreckgespenst meines möglichen Todes trennten, ging in mir eine seismische Veränderung vor. Ich schlug die Lider viel wacher und lebendiger als sonst auf, war hellhöriger als je zuvor und sah alles mit ganz neuen Augen. Jeder meiner Sinne schien erneuert, geschärft und übermittelte mir selbst die subtilsten Informationen: das köstliche, buttrige, schmackhafte Gift, das aus Etans Küche im Capone waberte, als ich versuchte, mit Dante zu sprechen, die verschnörkelten Töne einer Trompete, die über die Tonanlage der Lobby eine beschwingte Jazzmelodie spielte, die Liebkosung des Samtvorhangs, durch den ich in die Galerie schlüpfte, der Geschmack der stibitzten Chips mit Salsa und die stille Zufriedenheit, die Lance und ich empfanden, als wir uns nach einer weiteren Trainingseinheit im Lagerraum der Kneipe mit Proviant eindeckten.
Ich fand es seltsam, mich so mutig und stark zu fühlen und mir gleichzeitig bewusst zu sein, dass mir so wenig Zeit blieb. Erstaunlicherweise erdrückte mich die Last dieses Wissens aber nicht, stattdessen wurde der Wunsch zu überleben von Tag zu Tag stärker. Die Minuten waren randvoll gepackt, ich war produktiv und scharfsinnig, alles sah anders aus, fühlte sich anders an. Mir war klar, dass mir etwas bevorstand, ich wusste aber, dass ich so gut vorbereitet war wie irgend möglich, so stark wie noch nie zuvor, sowohl körperlich als auch geistig. Jetzt würde ich einfach weiterarbeiten, bis der Moment kam, an dem ich eine Möglichkeit fand, das alles aufzuhalten.
Lance und ich hatten heute mit einem Erkundungsgang zum Guckloch begonnen, da es aber offensichtlich nichts zu belauschen gab, drehten wir jetzt unten unsere Runden. Wir waren schnell, rasten Kopf an Kopf in halsbrecherischem Tempo voran. Es erstaunte mich immer wieder, dass man bei jeder Aktivität, in die man Zeit investierte, irgendwann erste Resultate sah und für seine Anstrengung belohnt wurde. Schließlich kletterten wir mit unseren Snacks wieder nach oben und gingen ein paar Details der Abschlussballplanung durch.
»Ich kann immer noch nicht fassen, dass Courtney und die ganze Bande sich ›Heiß auf dich – Der Große Brand von Chicago‹ als Thema ausgesucht haben«, stöhnte ich.
Lance zuckte mit den Achseln. »Das stand ja immerhin auf unserer Liste.«
»Ja, aber das haben wir uns doch nur zum Spaß ausgedacht.«
»Tja, die Angeschmierten sind jetzt wohl die. Ich hätte gewettet, dass sie die wilden Zwanziger nehmen. Drei von fünf Schulen
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