Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)
waren wunderschön. Ich schraubte die Kamera vom Stativ und hielt sie im Arm wie ein Baby.
Der Raum ganz hinten war nichts weiter als ein Kämmerchen, ein winziges Büro mit weißen Wänden. Darin standen ein Tisch, ein Computer mit einem so dünnen Monitor wie bei einem Flachbildfernseher und einem doppelt so großen weiteren Bildschirm, der an der Wand hing. Aurelia hatte sich den Blazer wieder übergestreift und zugeknöpft, setzte sich vor den Computer und wartete darauf, beeindruckt zu werden. Ich schloss die Kamera an, und nun erschienen Hunderte von Fotos in Briefmarkengröße. Aurelia klickte auf das erste Bild: Darauf fasste sie sich gerade ans Haar, bevor sie wusste, dass ich sie beobachtete. Jetzt sah sie mich an, und ein Hauch von Bewunderung flackerte in ihrem Blick auf, dann wandte sie sich wieder dem Monitor zu. Sie gehörte zu den glücklichen Menschen, die gegen schlechte Fotos immun waren. Ich hingegen konnte selten eine Aufnahme von mir ertragen. Tatsächlich hatte ich systematisch jeden fotografischen Beweis meiner Existenz aus meinem zwölften und dreizehnten Lebensjahr vernichtet – die Bilder aus der Zeit waren besonders übel gewesen.
»Schön. Damit bist du für heute fertig. Morgen lichtest du dann die anderen ab.«
Aurelia klickte die Bilder weg, und der Computer wurde wieder schwarz.
»Toll, danke.«
Sie stellte den Wandmonitor ab, machte das Licht aus und hielt mir die Tür auf. Hastig griff ich nach meinem Präsentbeutel, der noch immer neben dem Stativ stand, und holte sie dann am Eingang der Galerie ein.
Sie verabschiedete sich mit den Worten »Morgen um acht hier unten in der Lobby« von mir, stürmte dann davon und verschwand durch die seltsame Tür hinter dem Rezeptionstisch.
Meine Schritte führten mich zur Bibliothek, die mir wie ein Leuchtturm mitten im Sturm vorkam. Aus dem Raum erklang das leise Geräusch von Büchern, die ins Regal gestellt wurden. Ich schaute hinein und entdeckte Lance, der auf einer Leiter stand, mehrere Bände im Arm hielt und sie einen nach dem anderen in Lücken im Regal schob. Er sah zu mir herüber, als er mich hereinkommen hörte.
»Hi, sorry, lass dich nicht stören. Du steckst hier ja mitten in der Arbeit.« Ich wollte schon wieder gehen.
»Hey, nee«, beruhigte er mich und wandte rasch den Blick ab. »Kein Problem.« Als er beruhigend abwinkte, fiel eines der Bücher herunter. Ich kam zurück ins Zimmer, hob das Buch auf und reichte es ihm. »Danke. Lucian hat mich damit beauftragt, alles in alphabetischer Reihenfolge einzuordnen.«
»Wow.«
»Ja, dafür werde ich ewig brauchen. Gegen das hier ist die Harold Washington Library ein Witz. Und da wird immer behauptet, die Leute würden nicht mehr lesen.«
»Soll ich dir helfen?« Ich schlenderte durch den Raum und ging einen Stapel auf einem langen Holztisch neben der Tür durch. Shakespeare, Marlowe, Oscar Wilde.
»Nö, damit verschon ich dich lieber. Ich wette, du hast selber viel zu tun.« Er warf mir einen verschwörerischen Blick zu.
»Mich haben sie als Fotografin engagiert.«
»Und, wie ist es gelaufen?«
»Bis jetzt ganz gut, glaube ich. Frag mich morgen noch mal. Ich denke, ich hab für den Rest des Tages frei. Was irgendwie komisch ist.«
»Stimmt. Um diese Zeit würden wir sonst in Europäischer Geschichte sitzen.«
Ich sah auf die Uhr. Er hatte recht, und da fiel mir etwas ein.
»Also, weißt du, ich glaube, ich sollte mich mal lieber in die Geschichte von Chicago einlesen. Nach heute Morgen …« Das brauchte ich nicht weiter auszuführen.
»Ich weiß, was du meinst.« Er schob sich die Brille wieder hoch und schüttelte beim Gedanken an den gemeinsamen peinlichen Moment den Kopf. »Ich habe versucht, zwischendurch den einen oder anderen Band zur Seite zu legen. Da drüben sind ein paar ganz gute. Tolle Geschichtsbücher und auch ein paar wirklich gute Bildbände über Architektur in Chicago, aber die sind für mich reserviert.« Er deutete auf einen zierlichen hölzernen Sekretär mit einem Stapel Bücher.
»Darf ich mir die mal ansehen?«
»Na klar«, meinte er und kehrte zu seinem Regal zurück. Ich setzte mich und blätterte durch ein Buch mit dem Titel Chicago während der Prohibition . Eine körnige, sepiafarbene Fotografie auf dem Cover zeigte Männer mit Anzügen im Stil der 1920er Jahre und Hüten vor einer Kneipe.
»Das hätte ich fast vergessen.« Lance sah wieder zu mir rüber und stieg dann die Leiter hinunter. Die ächzte und knarzte bei jedem Schritt.
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