Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)
jedes Mal, wenn einem ein Freund genau in dem Moment über den Weg läuft, in dem man ihn braucht. Vielleicht konnte ich sie dazu überreden, mich draußen irgendwo in ein Restaurant einzuladen. Denn hier durfte sie auf gar keinen Fall etwas essen. Was machte sie überhaupt hier? Für den Tresor war es doch noch viel zu früh. Jetzt fiel mir auf, dass sie von Mirabelle begleitet wurde und ein schwarzes Cocktailkleid trug. Ohne groß darüber nachzudenken ging ich auf sie zu und rief: »Michelle! Frau Doktor!« Nur Mirabelle sah auf, Michelle schien mich hingegen nicht zu hören. Schließlich trafen wir uns unter dem großen Kronleuchter. »Hi!« Ich drückte sie ganz fest, merkte aber, dass sie die Umarmung gar nicht erwiderte. Vielleicht war ich überschwänglicher gewesen als sonst, aber das war mir jetzt egal. »Was machen Sie denn hier? Mal wieder ein wilder Frauenabend im Club? Wow, Sie sehen toll aus, wunderschön!« Sie trug meterhohe Absätze und ihr Haar, das sie sonst zum Pferdeschwanz zusammenband, fiel ihr nun in sanften Wellen auf die Schultern. »Wie läuft denn alles so? Joan hat mich vor kurzem besucht und mir erzählt, dass Sie die große Heldin des Schulbusunfalls waren!« Ich konnte nicht an mich halten und plapperte einfach weiter, aber als ich dann endlich verstummte, sah ich ihn: diesen Blick. Michelle starrte mich mit demselben leeren Blick an wie alle anderen hier. Ich schaute direkt in sie hinein, durch die toten Augen hindurch, und suchte nach einem Lebenszeichen. In meiner Magengrube zog sich alles zusammen, und das Blut gefror mir in den Adern. »Michelle?«
Sie lächelte, aber es war ein hohles Lächeln. »Es tut mir leid«, erklärte sie nun in honigsüßem, aber völlig ausdruckslosem Ton, »du musst mich wohl mit jemandem verwechselt haben.«
Ich machte den Mund auf, um etwas zu erwidern, aber mir fehlten die Worte. Mirabelle umfasste ihre Schultern, als würde sie ihr ein Tuch umlegen. »Komm, Evangeline«, sagte sie nun.
Wie erstarrt stand ich da, während sie davongingen.
Die Sache hatte mich furchtbar mitgenommen, aber ich versuchte den Rest des Tages, mich lieber auf das Angenehme zu konzentrieren, das vor mir lag, nämlich auf das Treffen mit Dante. Wir waren bereits eine gute halbe Stunde vor der vereinbarten Zeit da. Bei unserer Ankunft hatte sich nur ein einziger Gast in der Bibliothek umgeschaut, und bald waren wir ganz allein. Um fünf nach zehn hörten wir auf dem Marmorfußboden im Flur, der nicht mit Teppich ausgelegt war, das Quietschen von Turnschuhen. Ich sah zur Tür hinaus und sah Dante in Kochuniform auf mich zukommen, er rannte so schnell wie nie zuvor, schoss direkt auf uns zu. Der gequälte Ausdruck in seinen Augen und die Grimasse, die er zog, verrieten mir, dass er vor irgendetwas, irgendjemandem davonlief. Er blickte über seine Schulter zurück, während er von der Lobby aus herhetzte.
Ein paar Schritte von der Tür entfernt … brach er zusammen. Er schlug mit einem dumpfen Knall auf, als jeder Teil seines Körpers gleichzeitig zu versagen schien. Ich erreichte den Boden fast im selben Moment wie er, hörte mich seinen Namen schreien, brüllte, es solle doch jemand einen Krankenwagen rufen. Ich fühlte seinen Puls, und er raste.
Dantes Lider flatterten, und bevor er ohnmächtig wurde, keuchte er noch: »Dielen unter unserem Bett, eine Schachtel … such die … bitte. Hab euch so viel zu sagen.« Und dann verlor er das Bewusstsein.
Zwei Sanitäter hoben ihn auf eine Trage und brachten ihn durch den Haupteingang hinaus, was einiges Aufsehen erregte. Lance und ich folgten ihnen, und ich hielt auf dem Weg zum Krankenwagen Dantes leblose Hand. Nachdem man ihn hineingehievt hatte, fuhr uns der männliche Sanitäter an: »Ihr müsst jetzt gehen, da drin ist kein Platz für euch.«
»Bitte, ich kann ihn auf keinen Fall allein lassen!«
»Das ist schon okay«, meinte seine weibliche Kollegin. »Einer von euch darf mitfahren.«
»Geh du«, ließ mir Lance den Vortritt. »Aber ruf mich an, wenn es was Neues gibt, okay?«
Da ich kein Wort herausbrachte, nickte ich nur.
Ich kletterte hinten mit den Rettungssanitätern in den Wagen. Sobald die Sirenen ertönten, brach es aus mir heraus: »Wie geht es ihm?«
Der Mann nahm Dante Blut ab, während die Frau einen Tropf vorbereitete.
»Sein Zustand ist stabil«, erklärte sie. »Jetzt bekommt er erst einmal Flüssigkeit, und dann werden wir ein paar Tests mit ihm machen.«
»Er hält also durch? Ich weiß, dass
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