Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)
erklärte er. »Jetzt musst du also einfach nur drauflosknipsen.«
»Echt?« Ich betätigte den Knopf ein paar Mal. »Das ist so cool!«
»Ja. Dann mailst du mir die Bilder, ich drucke sie aus und lösche sie dann wieder vom Galeriecomputer.«
»Das ist der helle Wahnsinn, Lance. Im Ernst, du bist das reinste Genie!«
»Danke«, antwortete er stolz. »Ich gebe mir alle Mühe.«
»Also, sollen wir es gleich mal probieren?«
Wir drückten uns weniger als eine halbe Stunde im Tresor herum und taten so, als würden wir dort einfach nur abhängen, konnten in diesem Zeitraum jedoch mehrere Gruppenfotos von neuen Syndikat-Mitgliedern schießen. Wir beendeten die Aktion mit einer Runde in der Lobby, wo uns Aufnahmen der neuen Rezeptionistinnen gelangen. Wir würden eine ganze Sammlung dieser Bilder zusammentragen, und dann würde ich sie zum gegebenen Zeitpunkt zerstören.
Während der nächsten zwei Tage meldeten wir uns regelmäßig bei Ruthie, unsere Anrufe versetzten sie aber nur noch in größere Sorge. Die ersten beiden Male schlief Dante noch. Inzwischen war er seit etwa sechzehn Stunden k. o. Beim dritten Anruf schien er sich zu unserer Erleichterung endlich zu rühren. Beim vierten Mal baten wir sie, ihn nach dem heutigen Datum zu fragen. »Heute hat Haven Geburtstag, oder?«, hörten wir am anderen Ende der Leitung. Uns wurde schwer ums Herz. Am nächsten Tag gab es immer noch keine guten Nachrichten: »Er scheint weiterhin keine Ahnung zu haben, was das Lexington ist«, erklärte seine Mutter. »Und er schläft die ganze Zeit. Das ist doch nicht normal! Ich weiß wirklich nicht, was ich tun soll.« Wir auch nicht. Lance und ich diskutierten endlos hin und her, ob man Dante nicht besser zurück ins Krankenhaus bringen sollte, auch wenn ich nicht glaubte, dass man dort viel für ihn tun konnte.
Der Abschlussball würde in zwei Tagen stattfinden, abgesehen von unseren nächtlichen Lauschangriffen bekamen wir Lucian und Aurelia aber erstaunlich selten zu Gesicht. Als wir jetzt unser Galeriebüro betraten, entdeckten wir auf dem Schreibtisch einen Zettel mit Aurelias zarter Handschrift. Bei dem Anblick lief es mir kalt über den Rücken:
Haven und Lance,
findet euch bitte im Ballsaal ein, um für die Feier am Samstag bei der Dekoration zu helfen.
Eure Aurelia
Als wir dort erschienen, waren bereits mindestens zwei Dutzend Syndikat-Vertreter damit beschäftigt, die Beleuchtung und das DJ -Pult aufzubauen und eine glitzernde Skyline aufzuhängen, die das Chicago von 1871 zeigen sollte. Selbst die lebensgroße Kuhfigur, die wir bestellt hatten, stand schon da. Ich musste an all die lächerlichen Fotos denken, die am Samstag hier geschossen werden würden. Das arme Ding tat mir jetzt schon leid.
Beckett stolzierte mit einem Klemmbrett herum, knurrte seinen Lakaien Befehle zu und kam schließlich zu uns herüber.
»Du kannst dich um die Tische kümmern«, er deutete auf mich, »und du die Lampen aufhängen.« Das war für Lance bestimmt. Dann wandte er sich wieder ab. So viel hatte er noch nie mit uns geredet. Lance ging gerade vermutlich dasselbe durch den Kopf wie mir – wir waren absolut in der Unterzahl. Es wimmelte nur so von Syndikat-Mitgliedern, und trotzdem herrschte fast völlige Stille. Niemand erging sich hier in Plaudereien, die die Zeit schneller verstreichen ließen, aber alle starrten uns aus dem Augenwinkel an.
Lance und ich marschierten in entgegengesetzte Richtungen davon und machten uns an die Arbeit. Ich faltete das flammenfarbene Tischtuch auseinander, während er auf der anderen Seite des Raumes eine riesige Leiter hinaufstieg, vor der wir noch vor einiger Zeit furchtbaren Respekt gehabt hätten, die uns nach all dem nächtlichen Training jedoch nicht mehr so einschüchternd erschien. In den letzten Monaten hatte sich eben einiges verändert.
Ich hatte gerade das letzte Gastgeschenk platziert, als ich es hörte – ein lautes Krachen und zersplitterndes Glas.
Lance jaulte auf, und ich fuhr zu ihm herum. Die Leiter war leer, und er lag auf dem Boden. Während ich zu ihm rannte, rührte sich sonst niemand vom Fleck. Jedes einzelne Syndikat-Mitglied fuhr schweigend mit seiner Arbeit fort und sah nicht einmal zu Lance hinüber.
Als ich ihn erreichte, wischte er sich gerade einige Scherben vom Ärmel. Um ihn herum lagen zerbrochene Leuchten.
»Vorsicht, da oben verliert man schnell das Gleichgewicht«, bemerkte Beckett im Vorübergehen. Lance hatte bestimmt nicht danebengetreten, wir
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