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Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)

Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)

Titel: Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aimee Agresti
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kletterten doch jede Nacht weitaus steilere Leitern hinauf. Er war mit Sicherheit nicht einfach so abgerutscht. Sein Blick bestätigte mir das.
    »Alles klar?«, flüsterte ich. »Glaubst du, du kannst aufstehen?«
    »Ja, alles in Ordnung«, erklärte er und erhob sich langsam. Dabei rieselte es Scherben und Holzsplitter. Er hatte sich im Fall gedreht und war auf dem Bauch aufgekommen, deshalb hatten sich einige der scharfkantigen Fragmente durch seine Weste und das Hemd gebohrt. Ich fragte mich, wie tief die Schnitte am Oberkörper wohl waren.
    »Dich hat es ganz schön erwischt, was?«
    »Ein wenig«, ächzte er und versuchte, einen Schmerzenslaut zu unterdrücken.
    »Schaffst du es bis nach unten? Wenn es nicht allzu schlimm ist, kann ich dich verarzten.«
    »Ja, danke.« Sein Blick spiegelte wider, wie sehr die Wunden brennen mussten.
    Gemeinsam erreichten wir mein Zimmer, und ich stürzte mich auf meinen Erste-Hilfe-Kasten und die zusätzlichen Mullbinden. »Glaubst du, dass das vielleicht genäht werden muss?«, fragte ich, während ich das Material auf dem Tisch ausbreitete.
    »Ich weiß auch nicht«, stöhnte er. »Aber lieber nicht, wenn es nicht sein muss.«
    »Dein Vertrauen in meine Fähigkeiten ehrt mich ja, aber dafür müsstest du dann doch ins Krankenhaus.«
    »Oh. Nein, ich glaube, das ist nicht nötig.«
    »Komm her, lass mal sehen. Zieh das erst einmal aus.« Ich deutete auf das Hemd und die Weste, schraubte den Deckel vom Desinfektionsmittel ab und legte eine ganze Auswahl an Verbandsmaterial in verschiedener Stärke und Breite bereit. Dann machte ich einen sauberen Waschlappen nass und gab etwas desinfizierende Seife darauf.
    »Du musst aufpassen«, bemerkte Lance mit gequälter Stimme. »Erst Dante, jetzt ich. Du bist als Nächstes dran, Haven.«
    »Ich weiß«, murmelte ich. Jetzt war ich fertig und kehrte aus dem Bad zurück, aber Lance fummelte immer noch an seinen Hemdknöpfen herum. »Brauchst du Hilfe? Kannst du die Finger nicht bewegen?« Eigentlich war seine Hand nur leicht zerkratzt und sah nicht schlimm aus, jetzt befürchtete ich aber einen Nervenschaden. »Drück mir mal die Hand.« Das konnte er ohne Probleme.
    »Es geht mir gut.« Langsam knöpfte er das Hemd weiter auf. Er legte Weste und Hemd ab, trug darunter aber noch ein weißes T-Shirt. Wieder hielt er inne. So langsam dämmerte es mir, und ich schlug einen sanfteren Tonfall an: »Das ist jetzt natürlich komisch, aber du weißt schon, dass ich praktisch im Krankenhaus aufgewachsen bin, oder? Da habe ich schon so einiges gesehen, das ist jetzt also nicht der richtige Zeitpunkt für übertriebenes Schamgefühl. Für mich ist das ein Tag wie jeder andere.«
    Er sah mich an, als wolle er etwas erwidern, gab es dann aber auf und schüttelte nur den Kopf. Endlich zog er sich das T-Shirt über den Kopf. Durch mein jahrelanges Training in der Klinik wanderte mein Blick zuerst zu den Verletzungen: eine klaffende Wunde mit ausgefransten Rändern, aus der Blut sickerte. Dann ließ die Professionalität auf einmal nach, und ich nahm den Rest von ihm in Augenschein: kräftige Arme, an denen sich unter der Haut die Muskeln wölbten, und breite Schultern. Seine Brust erinnerte mich an die gewellte Oberfläche eines Sees, auf dem man Steine tanzen ließ.
    »Äh, das ganze Laufen und Klettern hat sich ja offensichtlich ausgezahlt«, stammelte ich.
    »Danke«, erwiderte er so schüchtern, dass seine Stimme kaum zu hören war. Plötzlich verstand ich den Spruch, dass manche Menschen ohne Kleider besser aussahen als angezogen. Und ich fragte mich mit einem Mal, wie ich bei diesem Vergleich wohl abschneiden würde. Ich hatte noch nie so viel nackte Haut aus nächster Nähe gesehen. Was meine Erfahrung aus der Klinik anging, hatte ich nämlich ein wenig übertrieben: Die lange Reihe der Kranken und Verwundeten dort war etwas ganz anderes, und ehrlich gesagt hatte ich, von gelegentlichen kurzen Einblicken ausgenommen, dort hauptsächlich Arme und Beine zu Gesicht bekommen, und zwar vor allem von Kindern und alten Leuten. Das waren keine Freunde von mir, es war nicht … wie das hier. Das hier gehörte in eine ganz andere Kategorie.
    Mit raschen Handgriffen säuberte ich schweigend die Wunde, desinfizierte sie und brachte den Verband an. Dann kümmerte ich mich um Lance’ Unterarme und Hände, wobei ich sorgfältig darauf achtete, auch ja keinen Splitter zu übersehen. Seine Ledermanschette hatte er jeden Tag getragen, und jetzt zog ich ihm direkt

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