Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)
spät.«
»Ich weiß. Puh!«, atmete ich auf. »Also, die wird heute Abend noch geliefert, und dann ist für morgen alles klar.«
»Gut«, nickte sie. Sie griff in ihre Tasche und holte einen Scheck der Evanston High hervor. Und damit waren die drei verschwunden.
Als Lance und ich auf dem Weg zur Galerie am Empfang vorbeikamen, rief eine Rezeptionistin vom Syndikat »Miss Terra?« zu mir herüber. Ich blieb stehen. Warum auf einmal so förmlich? Auch Lance sah mich befremdet an.
»Ja, hi.«
»Miss Brown möchte Sie gerne sehen.« Einen Moment stockte mir der Atem. Lance und ich tauschten besorgte Blicke.
»Natürlich«, antwortete ich.
»Wir sehen uns dann später«, meinte Lance und versuchte, so normal wie möglich zu klingen. »Hey, überlässt du mir so lange deine Schlüsselkarte? Ich muss noch mein Buch aus deinem Zimmer holen.« Ich wusste, was er vorhatte: Er wollte aus dem Versteck hinter der Wand ein Auge auf mich haben. Also reichte ich ihm die Karte.
Aurelia verlor kein Wort über meine neue Frisur, starrte mich nur an und machte sich gar nicht erst die Mühe, ihr triumphierendes Lächeln zu verbergen. Jetzt saß hier eine ganz andere Person vor mir als die Frau, die mir im Parlor von den schweren Entscheidungen in ihrem Leben erzählt hatte. Ich hockte auf dem vertrauten Stuhl, hatte einen Kloß im Hals und fragte mich, was jetzt wohl kommen würde. Das war für mich wirklich der Anfang vom Ende. Ohne meine Kette fühlte ich mich Aurelia gegenüber irgendwie schutzlos. Zumindest war es mir ein schwacher Trost, dass Lance hinter der Wand über mich wachte. Das verlieh mir Kraft.
»Es gibt da eine kleine Angelegenheit, um die wir uns noch kümmern müssen«, erklärte meine Chefin frostig, während sie auf ihrem Tisch einige Papiere ordnete. »Wie ich dir kürzlich in unserem Gespräch dargelegt habe, liegen meiner Meinung nach große Taten vor dir. Aber dazu bedarf es noch einer letzten Formalität.« Sie griff in die Schublade, um etwas herauszuziehen, hielt aber inne, als ich mir mit einem Einwand Zeit zu erkaufen versuchte.
Ich nahm allen Mut zusammen und fragte: »Ja, aber was genau sehen Sie denn da? In meiner Zukunft?« Am liebsten hätte ich noch mehr hinzugefügt, zum Beispiel Wenn ich am Schluss ja doch in der Hölle lande, hab ich nämlich gar kein Interesse.
»Nun, ich bin froh, dass du das fragst. Was schwebt dir denn so vor? Was auch immer du dir wünschst, kann in Erfüllung gehen.«
»Einfach so?«
»Einfach so«, wiederholte sie.
»Na ja, ich habe immer davon geträumt, Ärztin zu werden«, erklärte ich. Sie nickte, als wollte sie sagen Kein Problem, das kriegen wir hin . »Aber deren Devise lautet ja bekanntlich ›Füg niemandem ein Leid zu‹. Ich glaube kaum, dass man diesen Leitspruch hier beherzigt.«
Sie starrte mich an, sprach aber in lockerem Tonfall weiter: »Vielleicht ist das Problem einfach, dass du noch ein paar Fragen hast.« Ihre gespitzten Lippen und der angespannte Nacken verrieten mir, dass sie langsam die Geduld verlor. Ich setzte mich noch aufrechter hin und sagte kein Wort.
Sie fuhr fort: »Haven, ehrlich gesagt bin ich es langsam leid. Ich werde dich nicht anflehen. Irgendwann hat dich die Vorstellung einer perfekten Version von dir selbst doch sicher mal angesprochen. Ich war so dumm zu glauben, dass du dich mit dem Gedanken anfreunden würdest. Nicht auszudenken, dass du dich endlich mal in deiner Haut wohlfühlen, glücklich und erfolgreich sein und dafür beachtet und bewundert werden könntest, statt dir ständig darüber Sorgen zu machen, was die anderen wohl über dich denken! Du hast hier einen kleinen Einblick in ein solches Leben bekommen, das sollte doch eigentlich Grund genug sein.«
»Na ja …«, begann ich, sie hob jedoch die Hand.
»Wie dem auch sei, falls das noch nicht klar sein sollte – die Geschehnisse der letzten Nacht waren nur ein Vorgeschmack auf das, was dich bei einer Absage erwartet. Das wird nicht gut für dich ausgehen.«
»Aber ich habe doch gesehen, was mit diesen Leuten vom Syndikat passiert«, erklärte ich jetzt mit so viel Nachdruck, wie ich nur aufbringen konnte. »Warum sollte ich denn eine perfekte Hülle werden wollen, die innerlich völlig tot ist? Diese Kreaturen haben scheinbar alles, aber keine Wünsche oder Gefühle, keine Leidenschaft oder sonst irgendetwas!«
»Aber begreifst du es denn nicht? Du würdest niemals so werden. Diese Menschen haben sich nach nichtigem Tand gesehnt, und den haben sie
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