Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)
glaube, das würde den Leuten gefallen.« Ich stellte es mir wirklich hübsch vor, wenn das Hotel erst einmal eröffnet war und hier elegant gekleidete Gäste zu den zarten Tönen des Instruments ihren Tee tranken. Irgendwie würde sich hier dann alles viel lebendiger anfühlen. Im Moment war das Hotel ja eher ein Schatten seiner selbst.
»Und zu den Cocktails vielleicht eine Jazzband«, überlegte Aurelia.
»Das stelle ich mir auch sehr schön vor.«
»Sag, Haven, was glaubst du, warum heben wir hier jemanden wie Al Capone auf ein Podest?«
So langsam fühlte sich das wie eine Quizshow an. Zu schade, dass ich gestern mit dem Buch über Chicago nicht weit gekommen war. Ich versuchte es einfach mal: »Um aus dem geschichtlichen Erbe des Gebäudes Kapital zu schlagen.«
»Das ist aber noch längst nicht alles.« Meine Chefin nahm einen weiteren, tiefen Schluck. Ich berührte meine Tasse und zog die Finger schnell wieder zurück. Das würde ich mir nicht noch einmal antun. Stattdessen wartete ich einfach darauf, dass Aurelia fortfuhr, obwohl sie sich dieses Mal Zeit ließ. »Was hat denn mehr Glamour und Glanz als die Sünde?«
»Ich … ich glaube nicht, dass ich darüber irgendetwas weiß.«
»Nein, vermutlich nicht«, entgegnete sie in einem Tonfall, der vor Enttäuschung nur so triefte.
Ich hatte keine Ahnung, was ich darauf erwidern sollte. Sie sprach weiter. »Vom geschäftlichen Standpunkt aus betrachtet holen wir das Optimum heraus. Fast jeder findet es faszinierend, was wir hier bieten – Capone sowie all die Geschichten und Legenden, die sich um ihn ranken. In Wirklichkeit kommen sie aber hierher, um mit dem Feuer zu spielen. Hier spüren sie die Gefahr, sind näher dran als in ihrem täglichen Leben und können sich endlich einmal einbilden, ein ganz anderer Mensch zu sein.« Sie zupfte den Scone auseinander, gab einen Löffel Himbeermarmelade darauf und nahm dann winzige Bissen. Ich tat dasselbe und imitierte ihre Handgriffe im Abstand von nur wenigen Sekunden. Es war ein Zitronenscone mit Preiselbeerstückchen, und er war noch so warm, dass er im Mund zerschmolz wie Zuckerwatte. Wenn ich allein gewesen wäre, hätte ich viel schneller gegessen.
»Es ist vermutlich wie mit den Achterbahnen in Vergnügungsparks. Die finden die Leute gerade deshalb so schick, weil sie eine Heidenangst davor haben. Das gibt ihnen den ultimativen Kick«, warf ich ein. Ich wollte ihr so gerne beweisen, dass ich sie verstanden hatte.
»Ein netter Vergleich. Ja, es mag so ähnlich sein, unsere Gefahr ist aber viel dunkler. Und du fährst nicht mal gern Achterbahn, oder?«
»Doch, natürlich.« Von wegen. Ganz und gar nicht. Das hatte ich mit zwölf mal ausprobiert und bei jedem Looping Angst gehabt, rausgeschleudert zu werden. Die eine Fahrt hatte mir mehr als gereicht.
»Das Gefährliche, Makabre hat auch etwas Reizvolles. Es elektrisiert und senkt die Hemmschwelle.«
Ich nickte nur, aber sie durchschaute mich.
»Du bist dir wohl nicht so sicher, ob du mir da zustimmen sollst.« Sie knabberte an ihrem Scone.
»Wahrscheinlich arbeite ich einfach schon zu lange im Krankenhaus. Da habe ich jede Menge Draufgänger gesehen, Leute, die zu viele Risiken eingegangen sind, weil sie sich für schlauer als andere hielten und dachten, dass sie sich nicht an die Regeln halten müssen. Solche Leute fahren zu schnell und bauen Unfälle, stürzen irgendwo runter oder tun sich gegenseitig Furchtbares an. Wenn man die Folgen so genau vor Augen hat, ist man dankbar für sein eigenes, sicheres Leben.«
Sie dachte über meine Worte nach. »Das kann ich nachvollziehen. Aber du willst doch wohl nicht behaupten, dass es dir nicht von Zeit zu Zeit auch mal in den Fingern juckt?«
»Ich bin nicht sicher, ob ich verstehe, worauf Sie hinauswollen.«
»Du bist noch so wunderbar jung, Haven.« Ein breites Lächeln legte sich über ihre Züge. Sie strahlte nun so, wie sie vielleicht ein Kind angelacht hätte. Und dieses Kind hätte sogar geglaubt, dass die Geste von Herzen kam. »Hat dich denn niemals die Gier oder Leidenschaft so gepackt, dass du für deine Sehnsüchte am liebsten alles getan hättest?« Ich dachte darüber nach. Mir ging es eigentlich nie um die schnelle Befriedigung. Mein Leben war darauf ausgerichtet, das Vergnügen hintanzustellen und lieber hart für meine Ziele zu arbeiten. Eine tolle Schule, ein tolles Leben, eine tolle Karriere – ich wollte etwas aus mir machen, Großes erreichen. Auf einmal fühlte ich mich
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