Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)
so viele Überstunden machen wie möglich, falls du verstehst, was ich meine.« Er zwinkerte. Wir wünschten uns gute Nacht, und Dante versprach, für uns Lucian und Raphaella im Auge zu behalten.
Nachdem Lance sich wieder in sein Zimmer verzogen hatte, schlüpfte ich in meinen Kittel und machte mich bettfertig. Ich hatte fest vor, wenigstens ein paar Stunden ohne Albträume durchzuschlafen. Aber als ich mich unter die Decke kuschelte, begann ich mich dann doch zu fragen, wo dieses Buch überhaupt steckte. Nicht zu wissen, wo es war, machte die Sache für mich nur noch schlimmer. Also schob ich meine müden Knochen wieder aus dem Bett und begann, überall nach dem Ding zu suchen, selbst an Stellen, von denen ich ganz genau wusste, dass ich es dort nicht hingelegt hatte. Ich sah im Schreibtisch nach, in der Kommode, im Nachttischchen, in meinem Rucksack, dem Wäschekorb und absurderweise sogar unter der Dusche. Nichts.
Als ich mich gerade wieder hingelegt hatte, fiel mein Blick auf den Schrank.
Ich zog an der Kordel, um die Lampe darin einzuschalten, und hatte die Schnur plötzlich in der Hand. Na toll, aber eigentlich brauchte ich das Licht auch gar nicht. Der enge Raum war fast leer. Ich holte die Reisetaschen heraus, und da lag es auf dem Fußboden – das in Leder gebundene Büchlein. Ich griff danach und schob die Taschen dann zurück in eine Ecke.
Autsch.
Mit den Händen war ich an etwas Hartes, Metallisches gestoßen. Ich legte das Buch wieder hin und fuhr über den abgetretenen, knubbeligen Teppichboden. Flach, flach, flach – und dann traf meine Handfläche wieder auf dieses Ding. Es war eine etwa dreißig Zentimeter lange Metallkante, die nur ganz leicht hervorstand. Ich tastete mit den Fingern herum, um zu sehen, wo sie endete. Rundherum entdeckte ich einen ganz schmalen Spalt, durch den kaum ein Stück Pappe gepasst hätte. Ich fummelte daran herum, schaffte es schließlich, einen Fingernagel in die Öffnung zu schieben, und zog dann an der Kante. Mit einem schrillen Quietschen ging wie ein Maul eine Luke auf. Sie war so groß, dass eine Person hindurchgepasst hätte. Ich wollte sie nicht ganz öffnen, weil ich darunter sowieso nichts erkennen konnte, und ohne Licht im Schrank war auch nicht auszumachen, wie weit es da in die Tiefe ging.
Im Moment hatte ich erst einmal genug, also schlug ich die Luke wieder zu, stellte meine Reisetaschen darauf, schloss dann die Schranktür und stolperte ein paar Schritte rückwärts. Die Sache gefiel mir ganz und gar nicht. Ich schob den Schreibtischstuhl unter den Türknauf. Gut, eine relativ primitive Maßnahme, aber sie sicherte ein wenig meinen Seelenfrieden.
Der jedoch augenblicklich schwand, als ich dieses Buch wieder aufschlug.
Erneut stand darin etwas geschrieben, es war eine komplette Seite hinzugekommen. Ich atmete tief durch und begann zu lesen:
Du hast den Gang also gefunden. Bald wirst du noch begreifen, dass es nichts bringt, Dinge unter den Teppich zu kehren und so zu tun, als wären sie nicht da. Das gilt auch für die Zeichen, die deinen Körper zieren. (Du nennst sie Narben, aber nur, weil du nicht weißt, welch großes Ansehen damit einhergeht.)
Du wirst auch lernen, gegen Regeln zu verstoßen: Davon hängt dein Leben ab. Du wirst verbotene Orte erforschen und Wege finden, die man vor dir verbergen wollte. Du wirst zu innerer Stärke finden – zu weitaus größerer Kraft, als du je gekannt hast – und auch deinen Körper stählen. Es wird nicht einfach sein, ist aber unumgänglich.
Heute beginnt deine Ausbildung, und du wirst dich nun vor allem und zuallererst vor mir, diesen Worten, verantworten. Deine Fragen nach der Herkunft dieser Anweisungen müssen leider noch warten. Aber du bekommst deine Antworten, wenn es dafür an der Zeit ist. Bald wirst du sehen, dass deine Rolle hier viel größer ist, als du dir je erträumt hast. Glaub an diese Worte, glaub an dich selbst, und du wirst nicht zaudern.
Nun hielt ich inne. Glauben – dieses Wort konnte ich nur schwer verdauen, das klang mir ganz stark nach Manipulation. Dieses Buch maßte sich an, hier über mich entscheiden zu dürfen, fiel ohne große Einleitung gleich mit der Tür ins Haus, sprach von Lebensgefahr und verbot mir auch noch, mit irgendwem darüber zu sprechen – das war ein ganz schön dicker Brocken. Dieses Büchlein und ich, wir hatten keinen guten Start. Woher sollte ich denn wissen, dass es nicht der Schreiber selbst war, der mich in Gefahr brachte? Je länger ich
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