Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)
dem ich – oder vielmehr alle – gehört haben sollten.
Durch die Menge hindurch entdeckte ich einen uniformierten Lance neben der Vitrine mit Capones altem Hut. In der Hand hielt mein Mitpraktikant ein Tablett mit zwei flammenden Schnapsgläsern: Miniaturversionen meines Geburtstagsdrinks.
»’ne tolle Party, nicht?«, bemerkte ich, als ich an ihn herantrat.
»Wenn du und ich je eins von diesen Dingern trinken«, erklärte er, ohne den Blick von den hereinströmenden Gästen zu lösen, an die er die Getränke loszuwerden versuchte, »dann kann ich hier Schluss machen.«
Ich griff nach beiden. »Erledigt und erledigt. Bring das mal weg.«
»Danke. Bin gleich zurück«, rief er und eilte mit dem leeren Tablett davon.
So sieht man sich wieder , dachte ich und hielt eines der Gläschen hoch, um es mir mal genauer anzusehen. Ich stand ganz still da und tat so, als würde ich mir den Hut anschauen, in Wirklichkeit betrachtete ich jedoch die zuckenden Flammen. Lance kehrte innerhalb kürzester Zeit zurück und nahm mir ein Schnapsglas ab.
Er bedankte sich noch einmal und starrte den Flammendrink dann an. »Sollen wir es wagen?«
»Ich weiß nicht so recht. Der große Bruder von diesem Kerlchen hat mir an meinem Geburtstag jede Menge Ärger bereitet. Diesen Fehler möchte ich nicht noch mal machen.«
»Oooh, ja.« Auch er erinnerte sich nur zu gut an den Abend. »Wie hast du’s eigentlich geschafft, dich vor der Uniform zu drücken? Das ist echt nicht fair.«
»Damit hab ich nichts zu tun, das war Aurelias Idee.«
»Du siehst gut aus«, murmelte er und wandte den Blick ab.
»Danke.« Ich zupfte schon wieder an meinem Ausschnitt herum, hörte aber sofort auf, als ich mich dabei ertappte. »Du auch.«
»Ja, klar.«
»Nee, echt.« Es stimmte tatsächlich.
Wir schauten dabei zu, wie elegant gekleidete Partygäste ihre Runden drehten, ihre Getränke in sich hineinkippten und dabei die Kunstwerke sowie die makabren Ausstellungsstücke bewunderten. Zu meiner Rechten zeigte ein Glaskasten ein blutbespritztes Hemd, das angeblich vom Valentinstag-Massaker stammte.
»Oh, und schönen Massaker-Tag«, wünschte mir Lance und prostete mir zu.
»Ebenso«, erwiderte ich und erhob wie er mein Schnapsglas.
»Der Valentinstag ist doch wirklich zum Gruseln, oder nicht?«
»Prosit!« Ich rollte mit den Augen.
»Mal im Ernst, Leichen und Märtyrer pflasterten seinen Weg.«
»Ach, Quatsch!«
»Ich meine, ganz früher, so im vierten Jahrhundert.«
»Im dritten – aber das ist doch wirklich Schnee von gestern. Gut, dann wurde eben ein Priester gesteinigt, weil er Leute trotz Verbot getraut hat. Komm drüber hinweg«, scherzte ich. So hörte sich das an, wenn man in Europäischer Geschichte zu gut aufpasste.
Wir schlenderten zur Fotoausstellung hinüber, die neben ein paar Schwarzweißbildern des alten Lexington auch meine Aufnahmen des Syndikats umfasste.
»Ich hätte dazu noch einiges zu sagen: ein Feiertag mit einer Geschichte voller Folter und Ungerechtigkeit.«
»Und Pralinen.«
»Und Kommerz.«
»Okay, okay, schon geschnallt.«
Einen Moment studierten wir schweigend die Fotowand, von der so viele perfekte Gesichter zurückstarrten. Ich überlegte, ob ich vielleicht das Spiegelbild meiner Kamera in Lucians Pupille entdecken konnte, wenn ich nahe genug ranging.
»Was habe ich da gerade über Ungerechtigkeit gesagt?«
»Hm?« Ich war völlig in die Porträts vertieft und versuchte, einen tieferen Sinn darin zu erkennen. Schönheit ist Genialität, Schönheit ist Macht . So hatte ich das noch nie gesehen.
»Du hättest doch einfach sagen können, dass du mein Bild nicht retuschieren wolltest.« Plötzlich schwang in Lance’ Stimme unterdrückter Ärger mit. Das holte mich aus meiner Träumerei zurück. Ich drehte mich zu ihm um.
»Was?«
»Deshalb musstest du mich doch nicht anlügen.« Seine Stimme klang tonlos, während seine Augen sich verdunkelten und einen verletzten Ausdruck annahmen.
»Wovon redest du?«
Er klopfte mit dem Fingerknöchel auf sein Bild und marschierte dann ans andere Ende der Ausstellung, wo er neben der Aufnahme von Raphaella verharrte. Das Foto zeigte seine Narbe, eine kleine, knubbelige Linie unter seinem tiefbraunen Auge. Sie versetzte mir einen Stich, der mir im Herzen wehtat.
»Die hatte ich doch gelöscht!«, rief ich etwas lauter als beabsichtigt. Mit versteinerter Miene starrte er mich an. Offensichtlich fühlte er sich hintergangen. »Ich schwöre dir, ich hab das heute
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