Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)
Alles zerfloss. Ich zerschmolz zwischen ihm und der Wand und war nicht mehr so sicher, ob meine Füße überhaupt noch den Boden berührten. Ich hatte nicht den Eindruck – er war so groß und hielt mich so eisern umschlungen, dass ich zu schweben schien. Ich war in diesem heftigen, wilden, perfekten Kuss gefangen. Und irgendwie wussten meine Lippen, was sie zu tun hatten, so als ob ich nie etwas anderes gemacht hätte und immer schon in dunklen Ecken von plötzlichen, geheimnisvollen Küssen übermannt worden wäre. Meine Hand machte sich selbstständig, fand seinen Nacken und zog ihn zu meiner großen Überraschung weiter zu mir hinunter. Meine Haut prickelte, jeder einzelne Nerv stand unter Hochspannung, und mein Herz klopfte so laut, dass es in meinen Ohren dröhnte und ich mich fragte, ob er wohl auch hören konnte, wie ungestüm es vorangaloppierte.
Er drückte mir einen harten Kuss auf den Nacken, und mein Puls raste, als ich wieder nach seinem Mund suchte. Aber dann ließ er mich genauso rasch, wie er mich an sich gezogen hatte, auch wieder los – er gab mich so plötzlich frei, dass ich ins Straucheln geriet und atemlos gegen die Wand sank. Plötzlich wurde der Ton vom Rest der Welt wieder eingeblendet. Im Club erkundigten sich Stimmen, was denn mit dem Licht, der Musik und dem Strom passiert war. Am Ende des Tunnels konnte ich die Flammenwand ganz hinten flackern sehen, und ich nahm an, dass auch der Feuerring weiterbrannte, aber danach hielt ich nicht Ausschau. Wohin war Lucian verschwunden? Jetzt war ich gierig geworden. Ich wollte mehr, einen weiteren, endlosen Kuss, und ich wünschte mir, dass die Lichter nie wieder angehen würden. Diesen Moment wollte ich ein ums andere Mal neu durchleben. Wenn ich nur daran dachte, hatte ich schon Schmetterlinge im Bauch, und in meinem Kopf drehte sich alles.
Schließlich kamen Schritte näher, die Clubbesucher murmelten vor sich hin und schoben sich an der Wand entlang. Irgendjemand streifte im Vorbeigehen meinen Arm. »Sorry«, entschuldigte sich eine Frauenstimme. Ich stand wie angewurzelt da – und wenn mich die Menge nun niedertrampeln würde, ich konnte mich einfach nicht rühren. Die Leute wurden unruhig. Sie wollten hier raus und begannen, in den Tunnel zu strömen, pressten sich gegeneinander und gegen die Wand. Ich wurde mitgerissen, stolperte ein paar Schritte voran und stieß dabei gegen etwas. Als ich mich bückte und auf dem Boden herumsuchte, fand ich dort die Kameratasche. Ich griff danach und schlang schützend die Arme darum. Genau in dem Moment gingen überall die Lampen wieder an. Einen Augenblick hielten alle gleichzeitig inne und starrten in das grelle Licht. Sobald sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatten, begannen die Partygäste jedoch, in Massen aus dem Club zu strömen. Sie schienen das als Zeichen aufzufassen, dass die Veranstaltung jetzt vorbei war. Ich löste mich aus der Menge, sobald ich Gelegenheit dazu hatte, und schlich mich zur Treppe davon. Jetzt, wo ich die Stufen allein hochstieg, quälten mich meine Schuhe gnadenlos und bohrten sich so tief in mein Fleisch, dass ich befürchtete, ich würde sie nur mit der Kneifzange wieder abbekommen. Aber das war es wert gewesen.
Irgendwann dämmerte mir, dass ich nicht ein einziges Foto geschossen hatte, aber in diesem Moment war mir das völlig egal, auch wenn ich wusste, dass die Sache beim morgendlichen Treffen in Aurelias Büro ganz anders aussehen würde. Jetzt gerade bereitete mir das kein Kopfzerbrechen. Ich schwebte auf Wolke sieben und wünschte mir nur, dieser Glückszustand würde nie wieder aufhören.
Während ich die Treppe ganz langsam, Schritt für Schritt, hinaufschlich, ging ich in Gedanken die Szene durch, spielte sie als Endlosschleife in meinem Kopf ab.
Dann schaute ich noch rasch in der Lobby vorbei. Ich befürchtete allerdings, dass ich ziemlich zerzaust aussah, deshalb strich ich mein Kleid glatt und zupfte wieder zurecht, was sich verschoben hatte, als Lucian mich gepackt und umschlungen hatte. Meine Haare hatten sich inzwischen fast völlig aus dem Knoten gelöst und waren nur noch ein loses Nest. Da ich diese Frisur sowieso selbst nie wieder so hinbekommen würde, zog ich einfach die Haarnadeln heraus und ließ die Haare offen.
Ich schlüpfte in die Galerie und fand sie leer vor – offensichtlich hatten wie im Club auch hier alle Besucher die Flucht ergriffen, als das Licht wieder anging. In der Lobby hingegen drängten sich die Gäste, und jeder war
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