Das dunkelste Blau
Wie groß wird der Herd sein, Papa? fragte Petit Jean. So groß wie auf dem alten Hof?
Etienne sah sich um, bevor seine Augen an Marie hängenblieben.
– Ja, sagte er, es wird ein großer Herd. Meinst du nicht, Marie?
Er sagte ihren Namen selten. Isabelle wußte, daß er ihn haßte. Sie hatte damit gedroht, die Ernte zu verfluchen, wenn er sie das Baby nicht Marie taufen ließ. In all den Jahren, die sie bei den Tourniers gelebt hatte, war es das einzige Mal gewesen, daß sie gewagt hatte, deren Angst vor ihr auszunutzen. Jetzt war die Angst weg; an ihre Stelle war die Wut getreten.
Marie runzelte die Stirn. Als Etienne sie weiter aus seinen kalten Augen ansah, brach sie in Tränen aus. Isabelle legte den Arm um ihre Tochter.
– Es ist nichts, chérie, weine nicht, flüsterte sie und strich ihr über das Haar. Du machst es nur schlimmer. Weine nicht.
Über Maries Kopf hinweg sah sie Hannah in der entferntesten Ecke des Raumes hocken. Einen Moment lang dachte sie, daß etwas mit ihr nicht stimmte. Ihr Gesicht sah anders aus, das Netz der Falten war ausgeprägter. Dann bemerkte sie den Grund: Die alte Frau lächelte.
Isabelle fing an, Marie nahe bei sich zu behalten, lehrte sie das Spinnen, ließ sie Ballen von Garn aufrollen, zeigte ihr, wie sie kleine Kleidchen für ihre Puppe stricken konnte. Isabelle berührte sie oft, faßte sie am Arm, strich ihr übers Haar, wie um sich zu vergewissern, daß das Mädchen noch da war. Sie hielt Maries Gesicht sauber, rieb es jeden Tag mit einem Tuch ab, bis es durch den Rauch schimmerte.
– Ich muß dich sehen, ma petite , erklärte sie, obwohl Marie nie nach einer Erklärung fragte.
Isabelle hielt Hannah von dem Kind fern, so gut sie konnte, und stellte sich auch körperlich zwischen die beiden.
Nicht immer war sie erfolgreich. Eines Tages kam Marie mit glänzenden Lippen zu Isabelle.
– Mémé hat Schweineschmalz auf mein Brot gestrichen! rief sie.
Isabelle runzelte die Stirn.
– Vielleicht gibt sie dir morgen auch welches, fuhr ihre Tochterfort, um dich auch dicker zu machen. Du wirst so dünn, Maman. Und so müde.
– Warum will Mémé, daß du dick wirst?
– Vielleicht, weil ich was Besonderes bin.
– Niemand ist etwas Besonderes vor Gott, sagte Isabelle ernsthaft.
– Aber das Schweineschmalz war gut, Maman. So gut, daß ich mehr will.
Eines Morgens wachte sie von dem Geräusch von Wasser auf und wußte, daß es endlich vorbei war.
Etienne öffnete die Tür, um Sonne und Wärme hereinzulassen, die ihrem Körper wohltaten. Überall schmolz der Schnee zu kleinen Bächlein, die zum Fluß hinunterrannen. Die Kinder stürzten nach draußen, als wären sie gefesselt gewesen, rannten und lachten und schleppten Dreckballen an den Schuhen herum.
Isabelle kniete im Küchengarten und ließ sich die Knie vom Schlamm durchweichen. Zum ersten Mal seit Monaten war sie allein, alle waren so sehr mit dem anbrechenden Frühjahr beschäftigt, daß sie sie unbewacht ließen. Sie senkte den Kopf und begann laut zu beten.
– Heilige Mutter, ich werde hier keinen weiteren Winter überleben. Ein solcher Winter ist alles, was ich aushalten kann. Bitte, liebe Jungfrau, laß dies nicht mehr geschehen. Sie drückte ihre Arme auf den Bauch. Halte mich und das Baby sicher. Du bist die einzige, die es weiß.
Isabelle war seit Weihnachten nicht mehr in Moutier gewesen. Den ganzen Winter über hatte Hannah das Brot zum Backen hingebracht. Wenn das Wetter gut war, hatte Etienne die Kinder mit in die Kirche genommen, aber Isabelle mußte immer mit Hannah zu Hause bleiben. Als sie das Pfeifen des Händlers bei seinem Frühlingsbesuch hörten, erwartete Isabelle, daß ihr verbotenwürde hinzugehen, daß sie geschlagen werden würde, wenn sie nur fragte. Sie blieb im Garten und pflanzte Kräuter.
Marie suchte nach ihr.
– Maman, sagte sie. Kommst du?
– Nein, ma petite . Du siehst, daß ich hier zu tun habe.
– Aber Papa hat mich losgeschickt, um dich zu suchen und dir zu sagen, daß du kommen kannst.
– Dein Vater will, daß ich ins Dorf gehe?
– Ja. Marie sprach leiser. Bitte komm mit, Maman. Sag nichts. Komm einfach.
Isabelle sah in das Gesicht mit den blauen Augen, die leuchtend und klar waren, dem blonden Haar, das oben hell und unten dunkel war, wie das ihres Vaters einmal gewesen war. Das rote Haar war wieder hervorgekommen, eines am Tag, das Hannah nun selbst ausriß.
– Du bist zu jung, um schon so klug zu sein.
Marie wirbelte herum, zupfte am Lavendelbusch
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