Das dunkle Erbe
Indonesien? Wollte er den Schatz dorthin mitnehmen, was ziemlich unwahrscheinlich war, oder in Deutschland zu Geld machen? War er mit einem Hehler in Kontakt getreten?
Auf Raupachs Handy kam ein Anruf herein. Heide war am Apparat.
»Ich stehe gerade in einer Lagerhalle in Ehrenfeld«, sagte sie. »Hornung ist hier. Tot.«
DIE LAGERHALLE war eher ein Schuppen auf einem verlassenen Industriegelände. Davor eine Zapfsäule, außer Betrieb. Ein alter Lieferwagen. Löcher und Risse im Straßenbelag. Drei Polizeiautos.
»Du solltest dich doch schonen«, begann Raupach. »Wie kommst du hierher?«
»Heute Morgen war keiner von euch im Präsidium«, sagte Heide. »Also hab ich mich mit Niesken unterhalten, Effies und Photinis Berichte gelesen. Und gewartet. Das fällt mir inzwischen leichter als früher.«
»Geht’s dir gut?«
Heide klopfte gegen ihren Schädel. »Unverwüstlich. Es klappt auch wieder mit dem Reden.«
Er wies auf den Schuppen. »Wer ist da drin?«
»Hattebier. Die Spurensicherung ist knapp mit Personal, außerdem möchte er Effie entlasten. Als wir diesen Anruf gekriegt haben, hat er sofort seine Köfferchen gepackt und ist losgezogen.« Heide reichte Raupach Schutzhandschuhe und Füßlinge.
»Ein anonymer Tipp, von einem Mann mit starkem osteuropäischem Akzent. Er klang ziemlich aufgeregt, stotterte herum.«
»Könnte einer von Hornungs illegalen Arbeitern gewesen sein.«
»Ich hab Höttges drauf angesetzt, gleich nach unserem Telefonat.«
»Bist ja schon wieder ganz die Alte.« Raupach streifte die Füßlinge über.
»Hoffentlich nicht«, erwiderte Heide.
»Willst du wirklich keinen Erholungsurlaub nehmen?«
»Auf keinen Fall.«
»Dann freut es mich, dass du wieder zurück bist.« Er zog sie kurz an sich und klopfte ihr auf den Rücken.
»Von eurem Fehlschlag in der Villa hab ich schon gehört«, sagte sie. »Die Jäger des verlorenen Schatzes schauen in die Röhre. Erzählt man sich auf dem Flur.«
»So was spricht sich schnell herum.«
Sie betraten den Tatort durch eine große Schiebetür.
Hornung lag auf dem Rücken, sein Hemd und seine Brust bildeten eine blutige Masse.
Es gab einen wackeligen Tisch, Stühle, ein paar Blechspinde aus Metall. Gleich neben der Tür ruhte ein langes walzenförmiges Gerät auf massiven Ständern, etwa ein Meter im Durchmesser. Lehm klebte daran. So wie es aussah, war das der Tunnelbohrer.
»Ich dachte, Sie können etwas Hilfe gebrauchen«, sagte Hattebier. »Frau Bongartz kann sich ja nicht zerteilen.«
Der Leiter der Spurensicherung war ein dünner, kleiner Mann mit einer randlosen Brille, wie sie ehrgeizige Politiker oder manische Wissenschaftler tragen. Hattebier war keines von beidem. Er ging auf die sechzig zu. Für gewöhnlich überließ er die Tatortanalysen talentierten Mitarbeitern wie Effie. Seine Vorzüge bestanden im Delegieren seiner Leute und in der Auswertung ihrer Befunde. Schussverletzungen waren sein Fachgebiet, dafür verließ er schon mal sein Labor.
»Die Leiche weist drei Einschussöffnungen auf, im Thorax- und im Bauchbereich«, erklärte Hattebier. »Zwei Durchschüsse und ein Steckschuss, das dritte Projektil wurde vermutlich von einem Rückenwirbel aufgehalten. Nach dem Röntgen kann uns der Pathologe Genaueres sagen.«
Seine Mitarbeiter markierten die Stellen, wo die ausgetretenen Kugeln in die Ziegelwand eingeschlagen waren. Clausing von der Gerichtsmedizin war auch schon zur Stelle. Er untersuchte Hornungs Wunden.
»Es handelt sich um relative Nahschüsse, aus ein bis zwei Meter Entfernung«, fuhr Hattebier fort. »Wir werden sicher noch Schmauchelemente auf der Kleidung des Opfers finden. Die Schusskanäle verlaufen ungefähr in der Horizontalen, sofern sich das aufgrund der Austrittsstellen der Geschosse sagen lässt. Das heißt, das Opfer verharrte bis zuletzt in aufrechter Haltung, ungefähr so.«
Er demonstrierte es. »Ich persönlich neige zu der Ansicht, dass die Durchschüsse zwar beträchtlichen Schaden angerichtet haben, aber erst der Steckschuss hat den Mann zu Fall gebracht, außer Gefecht gesetzt, niedergestreckt, wie Sie wollen. Er hat sich nicht gewehrt, keine hochgereckten Arme, die etwas abbekommen hätten. Er hat sich nicht gedreht oder dergleichen, auch nicht selber eine Waffe benutzt. Also muss er überrascht gewesen sein. Und da ich mich vor einer Minute bei Fräulein Dirou über Ihre Einschätzung des Opfers informiert habe, füge ich hinzu, dass es nicht die Überraschung eines Amateurs
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