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Das dunkle Erbe

Das dunkle Erbe

Titel: Das dunkle Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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andere Frage zu beantworten. Dabei wäre ihr Arbeitsplatz dafür der passende Ort gewesen. Gottlieb Wenzel war dort einem anständigen Beruf nachgegangen. Die Tochter hatte von seiner Stellung profitiert, von dem Ansehen, das er sich dabei erwarb. Die Jacke des Beamtentums war zwar eng, aber sie wärmte, so hatte er immer gesagt.
    Der Ring konnte nur ihrem Vater gehört haben. Die Gravur, 30.1.1943, ließ keinen anderen Schluss zu. Sein Bruder Friedrich Wenzel fiel schon 1942 beim Afrika-Feldzug, diesem grotesk ins Globale ausufernden Wehrmachtsabenteuer, das in bestimmten Kreisen immer noch zweifelhaften Ruhm genoss. Und Ernst Wenzel war immer Zivilist gewesen, so wollte es die Familienüberlieferung. Vielleicht hatte er Kontakte in die SS gehabt, das sei gut möglich gewesen. Doch die Fabrik ließ keinen geregelten Dienst zu. Springmanns Fabrik. Seine Fabrik.
    Gottlieb musste es gewesen sein. Oft hatte Sylvia mit ihm über diese und andere Fragen diskutiert, aber nie eine verbindliche Antwort erhalten. Irgendwann gewöhne man sich an die Ungewissheit. SS, was hieß das überhaupt? Schutzstaffel. Und weiter?
    Raupach hatte sich informiert. Die SS gliederte sich in die SS-Totenkopfverbände und die SS-Verfügungstruppe, aus beiden bildete Himmler Ende 1939 die Waffen-SS. Dagegen bestand die Allgemeine SS aus nicht bewaffneten Verwaltungseinheiten, »Heimat-SS«, wie es geheißen hatte. Innerhalb der Waffen-SS gab es wiederum viele Unterteilungen: mehrere reguläre Kampfverbände, eine Polizei-Division, die Totenkopfstandarten, die in den Konzentrationslagern eingesetzt wurden, und andere mehr. Häufig überschnitten sich die Zuordnungen und Verwendungsgebiete, manche Bezeichnungen waren missverständlich. Am Ende des Krieges hatte die gesamte SS weit über 800000 Mitglieder. Sie wurde 1946 vom Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg zur verbrecherischen Organisation erklärt.
    Es habe solche und solche gegeben, meinte Sylvia Feichtner. Was bedeutete die Blutgruppentätowierung am Oberarm, die sie an Gottlieb einmal zu sehen geglaubt hatte? Trugen die nicht alle SS-Leute? Immer habe sie so etwas befürchtet, wusste aber nicht, wovor genau sie Angst haben sollte. Ihr Vater konnte ein naiver Mitläufer gewesen sein, ein ehrgeiziger Soldat, ein verblendeter Fanatiker, ein Massenmörder. All dies war möglich. Und jetzt legte dieser Ring nahe, dass er sich um etwas verdient gemacht hatte. Vor diesem »Verdienst« graute ihr. Vor dem Ausmaß seiner Schuld. Unter ihren Füßen tat sich ein Spalt auf, von dem sie nicht wusste, wie tief er reichte. In den nur hineinzublicken schon schmerzhaft war. Allein die Tatsache, dass er seine Vergangenheit hartnäckig verheimlicht hatte, ließ sie das Schlimmste vermuten. Deswegen habe er wohl auch Ahnenforschung betrieben. Damit er sich seinem eigenen Schatten nicht stellen musste.
    Vermutlich würde sie nie die Wahrheit erfahren, sagte Heide. Ein wenig kenne sie dieses Gefühl, mit ganz normal wirkenden Leuten zu verkehren, die sich als das Gegenteil erwiesen. Es sei wie ein Schlag auf den Kopf. Es verschlug einem die Sprache. Man müsse sich anstrengen, sie wiederzufinden.
    Raupach kam zum Kern des Gesprächs. Es gehe ihnen nicht um die Verstrickungen von Gottlieb Wenzel. Vielmehr fragten sie sich, wie der Ring in den Besitz des britischen Generals gelangt sei. Ob Sylvia Feichtner eine Erklärung dafür habe.
    Die Frau dachte lange nach. Sie ging zu ihrem Auto und entnahm dem Handschuhfach ein Fläschchen Magenbitter, den brauche sie jetzt. Heide sah ihr dabei zu, bemerkte die routinierten Bewegungen beim Öffnen und Ansetzen des Fläschchens, die gleichmäßigen Schlucke. Das Nachgeben im Innern, als der Alkohol den Magen erreichte und den Eindruck erzeugte, als würde sich etwas lösen, leichter werden.
    Sylvia Feichtner setzte sich auf den Beifahrersitz und starrte auf das Armaturenbrett. Kratzte an einem klebrigen Fleck.
    »Ernst könnte den Ring in Verwahrung genommen haben, als Gottlieb ins Lazarett kam«, fing sie an. »Großvater hob häufig Sachen für andere Leute auf. Die Villa galt als relativ sicher in der Zeit der Bombenangriffe.«
    »Und Marsh hat den Ring später gefunden«, sagte Raupach, »das wäre denkbar.«
    »So ungefähr.« Sylvia Feichtner nickte.
    Sie hatte sich einigermaßen gefangen, stieg aus dem Auto, betrachtete die anderen Fahrzeuge. Ein neuer Gedanke erwachte in ihr. Er führte von ihrem Vater weg, lenkte von ihm ab.
    »Mich würde

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