Das dunkle Erbe
Keller war zubetoniert. Es dauerte nicht lange, und er wurde nach Vietnam versetzt, zu einer Sondereinheit. Die näheren Umstände seines Todes wurden mir nie mitgeteilt.«
Zweifelnd schüttelte Photini den Kopf. »Gibt es für all das irgendeinen Beweis?«
»Nicht direkt. Aber die Zusammenhänge sprechen für sich, oder?«
Photini fragte sich, was mit dieser Frau bloß los war. Die Story war konstruiert, sie gründete einzig und allein auf diesem Divisionsabzeichen.
Die Ereignisse rund um die Villa hatten Frieda Rosinsky offensichtlich aus der Bahn geworfen. Überall in ihrem Wohnzimmer waren Erinnerungsstücke an ihren Mann verstreut, auch viele alte Sachen, die der Frau gehörten, Kleider und Schuhe aus den frühen Siebzigern. Diese Fotowand deutete auf eine bedenkliche Glorifizierung hin, und die schien jetzt ins krasse Gegenteil umzuschlagen. Plötzlich brachte Frieda ihren frühverstorbenen Matthew mit etwas in Verbindung, das ihn als Schwindler erscheinen ließ.
Warum dachte sie sich so ein selbstquälerisches Hirngespinst aus? Wollte sie aus übertriebenem Pflichtgefühl heraus einen Beitrag zur Strafverfolgung leisten? Bislang hatte sie der Polizei kaum helfen können, obwohl sie über eine sehr lange Zeit quasi ein Teil der Villa gewesen war. Als Photini ihr eröffnet hatte, was gegen Hornung vorlag und dass er getötet worden war, hatte sie hilflos gewirkt und sich gewundert, wie ihr Hornungs wahrer Charakter hatte verborgen bleiben können.
Frieda Rosinsky fühlte sich nutzlos, das war nicht zu übersehen. Und jetzt versuchte sie, krampfhaft Erklärungen zu finden, die das Rätsel um den verschwundenen Schatz nicht lösten, sondern ihm einen sonderbaren Schnörkel hinzufügten. Selbst wenn sie recht haben sollte mit ihrer Vermutung, änderte das nichts am Stand der Ermittlung.
»Vielleicht haben Sie Ihren Mann zu sehr geliebt«, sagte Photini schließlich.
Da Frau Rosinsky nichts erwiderte, probierte sie es mit anderen Worten, um sie zu trösten. Dass man sich Dinge einbilde, wenn der Tod eines nahestehenden Menschen im Unklaren lag. Dass man nicht selten an einem bestimmten Punkt hängenblieb, wenn man die Vergangenheit nach dunklen Stellen durchforschte, einem Punkt, der einem schon immer suspekt vorgekommen war, einer Abzweigung: So hätte es auch geschehen können. Oft rückte dann eine Person wie dieser Onkel Lou ins Blickfeld, ein Verwandter, dem man unwillkürlich etwas andichtete. Der die Leerstelle füllte, die jetzt, im Lichte neuer Erkenntnisse, entstanden war. Man glaubte, endlich im Besitz einer anderen, geheimen Vergangenheit zu sein. Aber man vergaß, was man dabei zerstörte.
Frieda sank auf dem Sofa immer mehr in sich zusammen. Ihre Blicke gingen wiederholt zu der Fotowand. Sie strich ihren Rock glatt, verschränkte die Beine, streckte sie aus, verschränkte sie.
Dann fand sie die Sprache wieder. »Die Wahrheit ist, Matt hat sich scheiden lassen, bevor er nach Südostasien ging. Ohne Vorwarnung. Es war vorbei, ehe mir klar wurde, was passierte.«
Jetzt begriff Photini. »Und das haben Sie nicht verwunden«, ergänzte sie.
Frau Rosinsky stand auf und ging in ihr Schlafzimmer. Sie kam zurück mit einem Gegenstand, barg ihn in ihren Händen. Zögerte, reichte ihn dann der Polizistin.
»Das hat mir Matt geschenkt. Er konnte nichts damit anfangen, meinte er.«
Sie deutete auf die silbernen Verzierungen.
»Hübsch, nicht wahr? Das ist eine jüdische Besamimbüchse. In Matthews Familie gab es nur Presbyterianer. Ich frage mich, woher er sie hatte.«
DER TOTENKOPFRING löste bei der Tochter von Gottlieb Wenzel einen Weinkrampf aus. Raupach und Heide Thum hofften, dass sie sich wieder beruhigte.
Sie standen auf dem Parkplatz des Finanzamts Köln-West, neben dem Hinterausgang. Hier legten die Angestellten manchmal eine Zigarettenpause ein und erholten sich für einige Minuten von ihren vieldeutigen Zahlenwerken. Immer aufs Neue mussten sie abwägen, ob sie den Angaben der Steuerpflichtigen Glauben schenkten. Wie weit all diesen Zetteln, Quittungen, Auflistungen, Berechnungen, Bilanzen zu trauen war. Wo sie genauer nachprüfen sollten, wie sie dabei vorzugehen hatten, bei wem vielleicht mal ein Auge zuzudrücken war mit dem mahnenden Hinweis, so gehe es künftig nicht weiter. Steuerhinterziehung sei schließlich kein Kavaliersdelikt.
Sylvia Feichtner hatte nicht mit einer solchen Enthüllung gerechnet, als sie die beiden Polizisten nach draußen bat, um noch die eine oder
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