Das dunkle Erbe
verlassen und ins Ausland gehen. Ärzte ohne Grenzen. «
»Warum nicht?«
»Einen Schnitt machen. Wie bei einer Operation.«
Jakub stutzte. Solche Bemerkungen ließen ihn das Erreichte mit Skepsis betrachten. Einen Schutzschild konnte man auch aufbauen, indem man allerlei Komplexe und Obsessionen vortäuschte, sich darin verstieg, bis man selber daran glaubte.
Viele Täter sahen sich als Opfer. Das war es, was den Weg, der zu einer Tat führte, verschlungen erscheinen ließ.
»Aber das wäre nur eine Flucht«, fuhr Schwan fort. »Ich denke, ich werde die Praxis behalten. Mir einen neuen Partner suchen. Nichts spricht dagegen weiterzumachen. Meine Patienten brauchen mich. Eine Zeitlang werden die Leute reden, aber das gibt sich. Vielleicht gehe ich für ein paar Wochen in ein Kloster. Exerzitien. Ora et labora. Das wird mich lehren, worauf es wirklich ankommt.«
»Planen Sie nicht zu weit im Voraus«, sagte Jakub.
»Wie glücklich ist, wer sich nicht verführen lässt von denen, die Gottes Gebote missachten. Wer Freude findet an den Weisungen des Herrn.«
ENDLICH ÖFFNETE sich die Tür. Schwan erhob sich.
»Ich bin jetzt haftfähig, Herr Kommissar.«
»Sie können gehen«, sagte Raupach.
»Lassen Sie mich frei?«
»Halten Sie sich bitte zur Verfügung.«
»Ich bin also unschuldig?«
Raupach runzelte die Stirn. »Wissen Sie das immer noch nicht?«
»Nicht, bevor Sie es sagen.«
»Jedenfalls stehen Sie nicht mehr unter dringendem Tatverdacht«, wich Raupach aus. »Vorläufig.«
Es gab immer noch die Möglichkeit, dass Hornung nur ein Trittbrettfahrer war. Dass Schwan ein mehrfacher Mörder war und Hornung sich die Situation zunutze gemacht hatte. Von den Varianten gar nicht zu reden: Vielleicht hatte Schwan Sophie und Gesa ermordet und Hornung Eva? All dies war noch nicht vom Tisch, egal, was Jakub in seine Beurteilung schrieb. Daran änderte auch Hornungs Tod nichts.
Die Tür stand offen. Schwan konnte das Krankenzimmer verlassen. Ohne zwingende Beweise für eine Anklageschrift durften sie ihn nicht länger festhalten.
»Haben Sie meine Hinweise überprüft?«, fragte er.
»Was meinen Sie?«
»Die Fotos in Evas Wohnung. Die Bilder im Wartezimmer.«
»Dazu sind wir noch nicht gekommen«, sagte Raupach.
»Sie haben nichts drauf gegeben, richtig? Sie halten mich für gestört.«
»Nein. Sie wissen, was Sie tun.«
»Sie vertrauen mir nicht«, beharrte Schwan.
»Warum sollte ich?«
»Weil ich jetzt klarer sehe, mit Hilfe von Herrn Skočdopole.« Schwan wies auf Jakub. »Erinnerungen abzurufen ist eine diffizile Angelegenheit. Das geht nicht auf Kommando, das spuckt man nicht einfach so aus wie ein Automat, bei dem man oben ein paar Cents einwirft, und unten kommt ein Kaugummi heraus. Man braucht jemanden, der einem zuhört. Tagelang.«
Vielleicht war Schwan doch nicht so merkwürdig, fand Jakub. Vielleicht hatte er einfach nur reden wollen, gleichgültig worüber. Morde, Motive, Ethik – alles einerlei. Mit jemandem reden, um zu sich zu kommen. Den Schock nach und nach abzustreifen.
Jakub machte Raupach ein Zeichen. Er sollte weitermachen.
»Also, was wollen Sie mir sagen?«, fragte der Kommissar.
»Die Vasarely-Drucke im Wartezimmer. Jetzt weiß ich wieder, warum sie da hängen.« Schwan wartete auf eine Reaktion.
Raupach nahm einen Besucherstuhl und setzte sich an den Tisch. »Warum?«
»Eva hat es nur einmal erwähnt, als ob es ihr unangenehm sei. Es ist schon eine Weile her.«
»Ja?«
»Sie sagte, Vasarely sei Heinrichs Lieblingsmaler gewesen.«
»Und?«
»Kennen Sie Heinrich Brehm?«, fragte Schwan und nahm wieder Platz. »Den Vater von Viktoria, unserer Nachbarin?«
»Ich habe von ihm gehört.«
»Er war Architekt. Er hat die Gebäude entworfen, die auf den Fotos in Evas Wohnung abgebildet sind.« Schwan wies auf Jakubs Laptop-Tasche. »Das haben wir im Internet herausgefunden.«
»Und was heißt das?«
»Eva bewunderte Heinrich. So sehr, dass sie sich quasi mit ihm umgab. Bei ihrem eigenen Vater Gustav war das anders, mit dem verstand sie sich nicht.«
»Das ist uns bekannt«, sagte Raupach.
»Dann gehen Sie mal zu Viktoria«, schlug Schwan vor. »Bei der hängen keine Vasarelys und keine Architekturaufnahmen. Nur ein altes kitschiges Porträt von Heinrich.«
»Was wissen Sie über ihn?«
»Ich weiß, dass viel über ihn geschwiegen wurde.«
»Sonst nichts?«
»Die Liebe, Herr Kommissar, ist das stillste aller Gefühle.« Schwan legte die Hand auf die Bibel und
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