Das dunkle Erbe
alle anderen Informationen.« Niesken reichte Raupach die Faxausdrucke.
Schließlich war Photini an der Reihe. Sie erwähnte die Besamimbüchse und Frau Rosinskys Geschichte. Unmöglich zu sagen, wie viel davon wahr war. Aber das Puzzleteilchen passte. Es verdeutlichte den Polizisten zum wiederholten Mal, dass sie es bei dem Schatz mit großen Begehrlichkeiten zu tun hatten. Mit sich kreuzenden Schicksalen. Und höchst unterschiedlichen Motiven.
Raupach wählte die Nummer von Caberidis. Der Staatsanwalt sollte ihm einen Durchsuchungsbefehl für das Haus von Viktoria Brehm besorgen. Der würde allerdings nicht so leicht zu bekommen sein. Sie hatten nur Vermutungen, selbst der Verdacht aufgrund des Kirschbaums stand auf schwachen Füßen. Zwingend war das alles nicht.
»Wo ist Sharon?«, fragte Raupach plötzlich.
Niesken wunderte sich, warum ihn die Kollegen so erwartungsvoll anstarrten. »Längst gegangen.«
ES WURDE Abend. Freitag, Wochenende. Der Verkehr war mörderisch, selbst mit Blaulicht und Sirene blieben sie immer wieder stecken. Die Temperaturen waren gestiegen, das machte die Menschen zusätzlich ungeduldig und gereizt. Ein Polizeieinsatz. Schon wieder. Alle mussten irgendwohin, zur selben Zeit, auf der selben Straße, ohne Aufschub.
Raupach und Photini gingen im Auto noch einmal Viktoria Brehms bisherige Vernehmungen durch und fragten sich, ob sie zu Hause war. Hornung hatte vorgehabt, sich abzusetzen. Vielleicht war sie schon weg, in einem Land, das flüchtige Straftäter nicht auslieferte. Wer nicht auf der aktuellen Fahndungsliste stand, konnte problemlos ausreisen und an vielen Orten der Welt untertauchen. Die globale Überwachung war eine Chimäre, die galt nur für Leute, die von Regierungsorganisationen gesucht wurden, für Staatsfeinde, Terroristen. Ein paar kleine Morde aus schwer nachvollziehbaren, persönlichen Gründen, wen interessierte das schon?
Sharon wartete an der Einmündung, die zu Viktoria Brehms Haus führte. Sie blickte durch ein kleines Präzisionsfernglas und setzte es ab, als die Polizisten näher kamen. Der Abstand betrug mehr als hundert Meter, die Bäume in der Straße boten einen guten Sichtschutz.
Photini hielt an und ließ Sharon einsteigen.
»Viktoria Brehm ist zu Hause«, sagte die Amerikanerin. »Ich habe jemanden im Wintergarten gesehen.«
»Wie kommst du hierher?«, fragte Raupach.
»Höttges hat mich mitgenommen. Er ist die Straße weiter runtergegangen und beobachtet das Haus vom Grundstück der Villa aus.«
»Hoffentlich ist er vorsichtig.« Raupach hatte das Team der Spurensicherung, das noch in der Villa arbeitete, per Funk abgezogen. »Also dann. Mach den Motor aus, Fofó.«
Sie stiegen aus, die Einsatzfahrzeuge hinter ihnen hatten ebenfalls gehalten. Heide, Reintgen und Hilgers eilten herbei.
Raupach erklärte seinen Leuten, was zu tun war. »Heide, du sorgst dafür, dass alle Zugänge zu der Straße abgeriegelt werden. Haltet ausreichend Abstand, ich will vor Brehms Haus niemanden sehen.«
»Was wird das?«, fragte Heide.
»Eine längere Unterhaltung. Die Frau hat uns einiges zu erklären.«
»Warum so viel Rücksichtnahme? Lass uns einfach reingehen und sie festnehmen.«
»Wir machen das auf die sanfte Tour«, sagte Raupach. »Sie soll den Eindruck bekommen, dass es ein harmloser Besuch ist, nur ein paar Fragen zu den Tunnelarbeiten. Keine Drohkulisse.«
»Du willst das doch nicht allein durchziehen?«
»Photini kommt mit, Viktoria Brehm kennt uns bereits. Mehr Leute wären jetzt nur hinderlich.«
»Funkverbindung?«
»Das könnte sie bemerken.«
»Du trägst keine Waffe, oder?«
Raupach lächelte. »Fofó ist ja bei mir.«
»Viktoria Brehm hat wahrscheinlich eine P 08 da drin. Damit kann sie euch beide locker über den Haufen schießen.«
»Danke für den Hinweis.«
SIE WARTETEN eine ganze Weile, bis ihnen auf ihr Klingeln geöffnet wurde. Viktoria Brehm trug einen Strohhut mit ausladender Krempe und eine geblümte Gartenschürze, beides geschmackvoll, damenhaft.
»Schön, dass Sie da sind. Kommen Sie rein.«
Sie traten über die Schwelle. Viktoria Brehm schloss die Tür.
»Wir wollen nicht stören«, begann Raupach. »Wie ich sehe, sind Sie gerade beschäftigt.«
»Die Gartenarbeit kann warten. Sie nimmt ohnehin kein Ende.«
»Es gibt Neuigkeiten. Dürfen wir uns noch einmal mit Ihnen unterhalten?«
»Sicher. Bitte folgen Sie mir.« Die Frau führte die beiden Polizisten in den Wintergarten. Diesmal benötigte sie
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