Das dunkle Erbe
Rasenfläche, die über ein paar Stufen zu erreichen war. Ein überdachter Grillplatz befand sich dort. Im Rest des Tageslichts war eine Buchsbaumhecke vor einem Drahtzaun zu erkennen, der das Grundstück begrenzte. Dahinter erhoben sich vereinzelt Nadelbäume, hoch wie Kirchtürme.
»Wie kommt man in den Wald?«, fragte Photini.
»Man nimmt das Gartentürchen, oder man geht außen rum.«
Das Gartentürchen klemmte, der Riegel war eingerostet. An dem Haus führte ein Feldweg vorbei, ein paar Obstbäume standen an seinem unbefestigten Rand. Er mündete in eine geschotterte Forststraße, die entlang des Waldrands verlief.
»Wir gehen hier durch.« Photini öffnete das Türchen. »Haben Sie auch das Gelände in der unmittelbaren Umgebung untersucht?«
»Es hieß, nur das Haus«, sagte Emrich.
»Den Weg zum Wald müssen Sie einbeziehen. Ihre Leute sollen das später nachholen.«
Sie gelangten zur Forststraße. Die Sonne war längst hinter den Gebäuden der Pension verschwunden, es wurde langsam dunkel. In dem Waldstück, vor dem sie jetzt standen, waren umfangreiche Rodungen vorgenommen worden. Schwere Maschinen hatten scheinbar willkürlich Schneisen in die Baumreihen geschlagen, monströse Reifen hatten den Boden zerfurcht und Aufwerfungen und Gräben hinterlassen wie Panzer im Krieg. Die nackte Erde trat hervor, überzuckert von zahllosen Splittern und Sägespänen.
Am Rand der Straße lagen Stapel langer Stämme fertig entastet zum Abtransport bereit, markiert mit Leuchtfarbe. Daneben waren kürzere Teile aufgeschichtet, doch in den Schneisen lag jede Menge Kleinholz herum, kreuz und quer, darunter meterlange Äste und junge Bäume, zerquetschtes Gesträuch.
Zwischen diesem Chaos ragten hell und wie von einer Riesenklinge gekappt die Stümpfe empor. Es sah aus, als habe jemand nach einem Bombardement nur das Nötigste weggeräumt. Und man wunderte sich, dass trotz allem verhältnismäßig viele alte Bäume stehen geblieben waren.
»Wann ist denn das passiert?«, fragte Photini mit Entsetzen.
»Nach dem ersten Vollmond im Dezember«, begann Emrich. »Dann weicht der Saft aus den Stämmen, und man bekommt gutes hartes Holz. Manchmal ziehen sich die Waldarbeiten bis ins Frühjahr hin.«
»Und das Holz bleibt einfach liegen?«
»Bis es abgeholt wird. Das kann dauern.«
»Schrecklich.«
»Das ist ganz normal. Übel sieht’s erst nach einem Kahlschlag aus. Wenn der Borkenkäfer in den Stämmen war.« Emrich zuckte mit den Schultern. Diese Leute aus der Stadt hatten reichlich romantische Vorstellungen von der Forstwirtschaft. Die meisten Betriebe nahmen wenig Rücksicht auf die Wachstumszyklen der Bäume und schlugen das ganze Jahr über Holz. Große Sägewerke verfügten über Trockenkammern, wo den Stämmen die Feuchtigkeit entzogen wurde. Die anfallenden Sägespäne dienten zur Beheizung dieser Kammern. Nichts blieb ungenutzt.
Photini holte eine Stabtaschenlampe aus der Jacke. »Sie und der Kollege bleiben hier. Achten Sie bitte darauf, keine Spuren zu verwischen. Vor allem auf dem Weg.«
»Wollen Sie mit Ihrer Schutzkleidung da wirklich reingehen? Damit bleiben Sie überall hängen.«
»Wir passen schon auf.«
»Sie müssen es wissen.«
Ein wenig Licht hatten sie noch, fünf Minuten, schätzte Photini. Danach würde man die Hand nicht mehr vor Augen sehen können. Höttges folgte ihr.
Das Gelände war leicht abschüssig, schon nach den ersten Metern merkte Photini, dass sie ganz langsam gehen musste, um nicht bei der ersten Gelegenheit auf dem Hosenboden zu landen. Wegen der herumliegenden Holzstücke war kein Tritt sicher, sie knickte dauernd um in ihren Sportschuhen. Wenn sie nicht achtgab, holte es sie von den Beinen, und einer dieser abgebrochenen Äste spießte sie auf.
Bei aller Vorsicht musste sie auch noch auf Spuren achten. Die Schutzkleidung erwies sich als hinderlich, dauernd verhakten sich Zweige und Dornen darin. Photini streifte ihren Anzug ab und warf das Knäuel zurück in Richtung Straße.
Höttges erging es kaum besser, aber er trug wenigstens Stiefel, die über die Knöchel gingen. »Bringt nichts, wenn wir bei diesen Sichtverhältnissen weiter reingehen«, sagte er nach etwa zwanzig Metern und blieb stehen. Es gab keinen Weg, nur den verwüsteten Bereich, in dem die Waldarbeiter zugange gewesen waren, begrenzt von dichtem Unterholz zu beiden Seiten. Tiefer im Wald verlor sich die einigermaßen freie Fläche im Finstern.
Photini wollte nicht einfach wieder abziehen. Sie
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